Mit Metabolomik auf der Suche nach neuen Naturstoffen im Moos
Jethro Hemmann im Gespräch über seine neue unabhängige Nachwuchsforschungsgruppe „Metabolomik-geleitete Naturstoffentdeckung“
| von Friederike Gawlik

Als Jethro Hemmann im Januar 2025 die Leitung der neu gegründeten Thüringer Nachwuchsforschungsgruppe „Metabolomik-geleitete Naturstoffentdeckung“ am Leibniz-HKI übernahm, war ihm von vornherein klar: Die kommenden Jahre würden aufregend werden. Für den jungen Wissenschaftler gehen mit dieser Chance auch einige Herausforderungen einher. Wie geht es ihm damit? „Bis jetzt sehr gut. Es sind viele neue Dinge, die auf mich zukommen, aber es macht Spaß, sich da einzuarbeiten und die neuen Tätigkeiten und Verantwortungen wahrzunehmen“, erzählt er.
Ein neues Forschungsthema, ein eigenes Team und die Freiheit, eine wissenschaftliche Vision umzusetzen – für Hemmann ist dies der nächste große Schritt in einer Laufbahn, die ihn von Zürich nach Jena und an die Spitze seiner eigenen Arbeitsgruppe geführt hat.
Vom Studium in Zürich zur Forschung in Jena
Schon während seines Studiums an der ETH Zürich war Hemmann von den kleinsten Verbindungen dieser Welt fasziniert: Moleküle. „Ich habe mich bereits früh für die Biochemie interessiert, für die chemischen Grundlagen von Lebewesen. Es ist faszinierend zu sehen, welche Moleküle dabei eine Rolle spielen, insbesondere auch bei Bakterien.“ Diese Begeisterung führte Hemmann schließlich zur Promotion an der ETH, in der er sich mit Bakterien und deren Stoffwechsel beschäftigte.
Nach seiner Dissertation zog es ihn als Postdoc nach Jena an das Leibniz-HKI, wo er mit einem Stipendium in der damaligen Nachwuchsforschungsgruppe „Synthetische Mikrobiologie“ unter der Leitung von Gerald Lackner arbeitete. Hier vertiefte Hemmann seine Kenntnisse in der Naturstoff-Forschung und spezialisierte sich auf die Metabolomik – eine Analysenmethode, bei der mithilfe der Massenspektrometrie die Gesamtheit aller Moleküle in Zellen oder ganzen Organismen erfasst werden kann. „Die Massenspektrometrie hat mich schon immer begeistert und ich möchte sie jetzt auch mit meiner Gruppe für die Forschung an Moosen anwenden.“
Moose als Überlebenskünstler der Natur

Doch warum gerade Moose? In der Welt der Pflanzen stehen sie oft im Schatten der höheren Blütenpflanzen. Dabei sind sie wahre Überlebenskünstler. Weltweit zählt man 16.000 bis 20.000 Arten. „Moose werden häufig ignoriert und finden nicht die gleiche Beachtung wie höhere Pflanzen, weil sie relativ simpel sind. Aber sie waren die ersten Landpflanzen überhaupt und haben schon vor hunderten Millionen Jahren mit Mikroben interagiert.“ Moose wachsen selbst unter extremen Bedingungen und trotzen Trockenheit und Feuchtigkeit gleichermaßen. Von tropischen Regenwäldern, schmucklosen Wüsten bis hin zur arktischen Tundra sind sie in allen Ökosystemen verbreitet. Die Wissenschaft vermutet, dass die auf dem Moos lebenden Mikroorganismen einen entscheidenden Beitrag zu dieser Widerstandsfähigkeit leisten.
„Wir hoffen, dass wir neue Naturstoffe finden, die vielleicht relevant sind für den Schutz von Moosen – etwa gegen Pilze oder feuchte Umgebungen.“ Die Idee: Wenn Moose und ihre Mikroben chemische Substanzen zur Verteidigung gegen Krankheitserreger oder Umweltstress nutzen, dann könnten diese Moleküle auch für uns von Interesse sein, zum Beispiel als Grundlage für neue Antibiotika oder Antimykotika.

Doch woher stammen die Moose für die Forschung? „Zum einen gibt es eine Stammsammlung, von der man sie kontrolliert beziehen kann. Aber natürlich wollen wir auch Moose direkt in der Natur sammeln, um ihre Bakterien zu isolieren und im Labor zu kultivieren.“ In Jena gibt es außerdem mit dem Herbarium Haussknecht am neuen Senckenberg Institut für Pflanzenvielfalt eine herausragende Expertise auf dem Gebiet der Moose – ein Glücksfall für die neue Forschungsgruppe.
Metabolomik – ein Blick in die chemische Sprache des Lebens
Das Herzstück der Forschung von Jethro Hemmann und seinem Team ist die Metabolomik, ein Forschungsbereich, der sich mit der umfassenden Analyse von Metaboliten in biologischen Proben beschäftigt.

„Bei der Metabolomik versucht man, die Metaboliten, also die Moleküle, die in Zellen vorhanden sind oder von diesen sekretiert werden, in ihrer Gesamtheit zu untersuchen”, erklärt Hemmann die Methode. Metaboliten spielen im Stoffwechsel von Zellen und Organismen eine zentrale Rolle. Von besonderem Interesse für Hemmann sind dabei Sekundärmetaboliten – Moleküle, die durch ihre chemische Diversität und Aktivität von großer Bedeutung für die Kommunikation und Verteidigung von Mikroorganismen sind. „Bei der Metabolomik fokussiert man sich nicht auf einzelne Stoffe, sondern misst viele gemeinsam.“ Hier kommt die Massenspektrometrie ins Spiel – eine Hightech-Methode, die Moleküle in geringsten Mengen anhand ihres Gewichts identifizieren kann. So lassen sich neue Naturstoffe aufspüren und ihre Strukturen analysieren.
Ein besonderes Interesse der Jenaer Nachwuchsforschenden gilt dabei den sogenannten RiPPs (Ribosomally synthesized and Post-translationally modified Peptides), einer noch weniger erforschten Gruppe von Naturstoffen. „Mit diesen Peptiden habe ich mich schon in meiner Postdoc-Phase intensiv beschäftigt. Es ist eine sehr diverse, große Familie, die aktuell immer mehr in den Fokus der Naturstoff-Forschung kommt. Es wäre spannend, wenn wir neue RiPPs im Moosmikrobiom finden könnten.“
Naturstoffe als potenzielle Heilmittel

Doch die Forschung geht über das bloße Entdecken neuer Moleküle hinaus. Die junge Gruppe möchte auch die Rolle von Naturstoffen in ihrem natürlichen Kontext verstehen. „Wir interessieren uns für die Interaktion zwischen Bakterien und Moosen. Welche Rolle spielen Naturstoffe im Ökosystem? Sind sie Signalmoleküle, dienen sie der Verteidigung oder der Kommunikation?“
Diese Fragen sind nicht nur für die Grundlagenforschung relevant. Sie könnten auch praktische Anwendungen haben. „Ein Ziel ist es, Naturstoffe zu identifizieren, die gegen Bakterien oder Pilze wirken und im besten Fall das Potenzial haben, zu Antibiotika oder Antimykotika weiterentwickelt zu werden.“ Erste Studien zeigen, dass moos-assoziierte Mikroben tatsächlich häufig bioaktive Substanzen produzieren.
Das Wichtigste sind die Personen

Natürlich ist ein solches Projekt nicht im Alleingang zu stemmen. Der Aufbau einer funktionierenden, motivierten Arbeitsgruppe steht für Hemmann im Moment an erster Stelle. „Das Wichtigste ist, dass wir jetzt ein gutes Team aufbauen, das begeistert ist und sich gemeinsam den wissenschaftlichen Fragen widmet.“ Hemmann ergänzt scherzend: „Die menschlichen Interaktionen sind genauso wichtig wie die mikrobiellen.“
Die Förderung durch den Freistaat Thüringen aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds Plus war dabei entscheidend für die Gründung der Forschungsgruppe. Ohne diese Unterstützung hätte es das Projekt in dieser Form nicht gegeben. Doch nun sind die Weichen gestellt.
Innerhalb des Leibniz-HKI fügt sich die Nachwuchsgruppe perfekt ins Forschungsumfeld ein. „Die Metabolomik-Methoden, die wir entwickeln, können in vielen Bereichen angewendet werden. Es gibt bereits enge Verbindungen zu Gruppen am Leibniz-HKI, die sich mit Naturstoffen beschäftigen, etwa bei Christian Hertweck oder Luzia Gyr.“ Kooperationen mit dem Biotechnikum und der ebenfalls neu gegründeten Abteilung Deep Microbiome Metabolomics versprechen weitere spannende Synergien.
Blick in die Zukunft – mehr als nur Moose?
Auch wenn das Moos-Mikrobiom aktuell im Mittelpunkt der Forschung von Jethro Hemmann steht – er denkt langfristig. „Ich wollte das Thema der Nachwuchsgruppe bewusst etwas breiter aufstellen. Die Metabolomik lässt sich auf verschiedene Mikrobiome anwenden. Vielleicht werden wir in Zukunft auch andere ökologische Nischen oder Organismen untersuchen.“
Doch bis es soweit sein könnte, wollen sich die Wissenschaftler*innen von Hemmanns Gruppe ausgiebig den Moosen widmen. Und wer weiß? Vielleicht verbirgt sich in einem unscheinbaren Moospolster am Thüringer Waldboden der nächste große Durchbruch in der Naturstoff-Forschung.