Neuer Immunmechanismus zum Schutz des Darms entdeckt

Durch die Untersuchung von Darmwürmern hat ein internationales Forschungsteam einen Durchbruch in der Erforschung der Darmimmunität erzielt. Er könnte den Weg zu besseren Behandlungen für Verdauungsstörungen bereiten.

| Fabienne Landry, McGill University Health Centre

Der Fadenwurm Heligmosomoides polygyrus, ein sehr naher Verwandter des in der Studie untersuchten Helminthen, unter dem Mikroskop.
Der Fadenwurm Heligmosomoides polygyrus, ein sehr naher Verwandter des in der Studie untersuchten Helminthen, unter dem Mikroskop. Er wurde aus dem Verdauungstrakt einer Waldmaus entnommen. © Naldo-Crocoduck, Wikipedia, unter Lizenz CC BY-SA 4.0: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/. Originalfoto: https://en.wikipedia.org/wiki/Heligmosomoides_polygyrus#/media/File:Heligmosomoides.jpg

Ein Forschungsteam aus Kanada hat mit Beteiligung der Gruppe von Sebastian Weis vom Leibniz-HKI und dem Universitätsklinikum in Jena herausgefunden, wie das Immunsystem den Darm während einer Infektion mit Parasiten schützt – ohne diese zu bekämpfen. Durch die Untersuchung von Darmwürmern, auch bekannt als Helminthen, konnte das Team einen bisher unbekannten Immunmechanismus entschlüsseln, der die Darmfunktion bei einer anhaltenden Infektion aufrechterhält.

„Unser Immunsystem schützt uns unter anderem durch die Vernichtung von Viren und Bakterien. Einige Krankheitserreger, wie z. B. Helminthen, haben jedoch Mittel und Wege gefunden, um sich der Vernichtung durch unser Immunsystem zu entziehen. Sie können monate- oder jahrelang im Darm verbleiben, ohne Krankheiten zu verursachen“, erklärt Prof. Irah King, leitender Wissenschaftler im Programm für translationale Forschung bei Atemwegserkrankungen am Forschungsinstitut des McGill University Health Centre in Montreal, Kanada, und Leiter der Studie.

„Angesichts dieses Paradoxons haben wir untersucht, wie das Immunsystem eine Helmintheninfektion toleriert, in der Hoffnung, die zellulären Wege aufzudecken, die diese Form der Wirtsabwehr vermitteln. Unsere Erkenntnisse haben weitreichende Auswirkungen, da sie möglicherweise zur Bekämpfung verschiedener Krankheitserreger und Krankheiten beitragen könnten, die Darmschäden verursachen.“

Interferone spielen beim Schutz der Organfunktionen eine grundlegende Rolle

Schematische Darstellung: Darmschäden aktivieren CD8-T-Zellen, die IFN-γ freisetzen. Dieses hemmt Myofibroblasten und fördert über CXCL5 die Anlockung von Immunzellen.
Bei Schäden im Darm hilft ein bestimmter Immunbotenstoff (IFN-γ), das Gewebe zu schützen: Er verhindert übermäßige Narbenbildung und sorgt dafür, dass hilfreiche Abwehrzellen (Neutrophile) an die richtige Stelle gelangen. So bleibt das Darmgewebe besser erhalten. © Susan Westfall, McGill University Health Centre

Das Team von Irah King untersuchte Helmintheninfektionen bei Mäusen und entdeckte, dass dabei Interferone produziert werden – also Immunsignale, die am besten für ihre Rolle bei der Abwehr von bakteriellen oder viralen Infektionen bekannt sind.

Überraschenderweise stellten die Forschenden jedoch fest, dass sie keinen Einfluss auf die Würmer selbst hatten. Stattdessen signalisierten die Interferone den Bindegewebszellen – sogenannte Stromazellen – den durch den Wurm verursachten Schaden zu kontrollieren und sicherzustellen, dass der Darm weiterhin funktionieren konnte.

Zur Bestätigung dieser Beobachtungen verwendete das Team genetische Ansätze, die Stromazellen am Empfang von Interferonsignalen hinderten. Unter diesen Bedingungen verursachte die Helmintheninfektion Darmblutungen und schwere Beeinträchtigungen des Verdauungssystems, was die entscheidende Rolle der Interferonsignale beim Schutz des Darms belegt. „In den nächsten Jahren wird es interessant sein zu erforschen, ob die von uns aufgedeckten schützenden Immunwege in Impfstoffen zur Förderung der Infektionstoleranz oder in Therapien für entzündliche Krankheiten wie Krebs, entzündliche Darmerkrankungen und Fibrose, bei denen eine unkontrollierte Aktivierung der Stromazellen zu Organdysfunktionen führt, genutzt werden können“, sagt King.

Die Studie wurde unter der Leitung von Irah L. King am McGill University Health Centre im kanadischen Montreal durchgeführt. Seitens des Leibniz-HKI war die assoziierte Forschungsgruppe Translationale Infektionsmedizin von Sebastian Weis an den Forschungsarbeiten beteiligt. „Wir haben geholfen, zentrale Zytokine, also Botenstoffe, sowie Organschadensmarker zu analysieren, die das kanadische Team vor Ort nicht messen konnte“, erläutert Weis. Die Forschenden aus Jena trugen damit wesentlich dazu bei, die immunologischen Toleranzmechanismen gegenüber der Wurminfektion funktionell einzuordnen.

Die Erkenntnisse, die kürzlich in der Zeitschrift Cell veröffentlicht wurden, könnten den Weg für neue Behandlungen von Helmintheninfektionen ebnen, von denen weltweit mehr als zwei Milliarden Menschen irgendwann in ihrem Leben betroffen sind, sowie von anderen Darmerkrankungen. Die Ergebnisse könnten auch dazu beitragen, ältere therapeutische Strategien zu überdenken, die bisher aufgrund eines unvollständigen Verständnisses der biologischen Prozesse verworfen wurden.

Originalpublikation

Westfall S, Gentile ME, Olsen TM, Karo-Atar D, Bogza A, Röstel F, Pardy RD, Mandato G, Fontes G, De’Broski H, Melichar HJ, Abadie V, Richer MJ, Vinh DC, Koenig JFE, Harrison OJ, Divangahi M, Weis S, Gregorieff A,  King IL (2025) A type 1 immune-stromal cell network mediates disease tolerance and barrier protection against intestinal infection. Cell Vol. 188, Issue 12, Pages 3135-3151.e22, https://doi.org/10.1016/j.cell.2025.03.043

Mitarbeiter*innen

Franziska Röstel
Sebastian Weis