Wider Erwarten produktiv

| von Charlotte Fuchs

Pilzkulturen auf Agar und Erde. Strukturformel Lindolin. Vergleich Anzahl der Naturstoffe aus baselen und höhren Pilzen. Demonstration anti-oomycetische Wirkung von Lindolin.
Basale Pilze bilden Lindolin über einen bisher unbekannten Syntheseweg. In der gemeinsamen Stammsammlung JMRC des Leibniz-HKI und der FSU Jena finden sich tausende über mehrere Jahrzehnte gesammelte basale Pilze. „Damit haben wir eine Schatztruhe direkt vor der Tür, die noch viele unbekannte Naturstoffe enthalten könnte“, blickt Greßler in die Zukunft. Quelle: Robin Sonnabend/Leibniz-HKI

Entgegen bisheriger Thesen könnten auch basale Pilze Produzenten wichtiger Naturstoffe sein. Eine Abteilung basaler Pilze widerspricht diesem gängigen Dogma indem sie einen Sekundärstoffwechsel besitzt. Über eine zweistufige Biosynthese produzieren die Pilze Lindolin, einen Naturstoff der gegen Erreger der Fruchtfäule wirkt. Das entdeckten Forscher des Leibniz-HKI und der Friedrich-Schiller-Universität bei der Untersuchung eines Vertreters der Zoopagomycota.

Basale Pilze (auch niedere Pilze genannt) entstanden früh im Verlauf der Evolution und zweigten sich im Stammbaum ab. Während die höheren Pilze bereits gut erforscht und etwa 40.000 Naturstoffe bekannt sind, wurden bislang bei den basalen Pilzen gerade einmal bis zu 500 Substanzen entdeckt. Die Vorarbeiten, auf die sich das Forschungsteam um Markus Greßler von der Forschungsgruppe Pharmazeutische Mikrobiologie stützt, liegen gut 50 Jahre zurück. Ein Grund für die stiefmütterliche Behandlung dieser Pilze liegt in der bis heute geltenden Annahme, sie besäßen keinen eigenen Sekundärstoffwechsel, der interessante Substanzen hervorbringt.

Eine Vernachlässigung zu Unrecht wie es den Anschein hat. Bei der Untersuchung von Linderina pennispora, einem Pilz der Abteilung Zoopagomycota, entdeckten die Forscher, dass dieser selbstständig bestimmte Indolalkaloide produziert. „Wir haben den Stoff Lindolin getauft, zusammengesetzt aus dem Namen des Pilzes und der Grundstruktur des Wirkstoffes“, erklärt Greßler. Die selbstständige Produktion ist bezeichnend, denn oft sind es nicht die basalen Pilze selbst die einen Naturstoff produzieren, sondern in ihnen lebende bakterielle Endosymbionten.

Pilze als Pflanzenschützer

Lindolin wirkt selektiv gegen Oomyceten - pilzähnliche Algen, die gefürchtete Pflanzenkrankheiten auslösen können. Einer der populärsten Fälle war die Hungersnot in Irland Mitte des 19. Jahrhunderts. In der Folge starben etwa eine Million Menschen und zwei Millionen verließen das Land in der Hoffnung auf ein besseres Leben in Amerika. Grund für das Elend war die Kartoffelfäule, verursacht durch den Oomyceten Phytophthora infestans.

Phytophthora-Arten sind Fruchtfäuleerreger, die neben Kartoffeln vor allem Tomaten, aber auch Sojabohnen und Steinfrüchte befallen. „Spannend ist, dass Linderina pennispora das Lindolin nicht nur in vitro im Labor produziert“, erklärt Greßler, „Tatsächlich wird es von den Pilzen aktiv in den Boden abgegeben und könnte, wie die Kultivierung in Gartenerde zeigt, Pflanzen vor dem Befall mit Oomyceten schützen.“ Über einer Kooperation mit einem Industriepartner soll das Potential der Verbindung für den biologischen Pflanzenschutz weiter untersucht werden.

Lindoline werden nicht nur von dieser einen Pilzart gebildet, sondern auch von weiteren Vertretern der Ordnung Kickxellales, wie eine Kooperation mit der Jena Microbial Resource Collection zeigte. Weitere Derivate des Lindolins sollen nun hergestellt und analysiert werden.

Neue Biosynthese

Die Forscher untersuchten die Biosynthese des Naturstoffes und kamen zu einer überraschenden Erkenntnis. Üblicherweise erfolgt die Peptidsynthese in Pilzen über Megaenzyme, sogenannte nicht-ribosomale Peptidsynthetasen. Tatsächlich ähnelt die Synthese von Lindolin eher einem pflanzlichen Muster mit zwei kleinen, nacheinander arbeitenden Enzymen statt des einen Megaenzyms.

Eine weitere Überraschung zeigte die Genanalyse von Linderina pennispora. Die Gene für die Syntheseenzyme liegen nicht, wie in höheren Pilzen und Bakterien üblich, in Clustern nebeneinander auf einem DNA-Strang, sondern verstreut im Genom. Damit widerlegten die Forscher die sogenannte Gen-Cluster-Hypothese. Aufgrund dieser wurden bei früheren Erbgutanalysen die basalen Pilze oft als Produzenten für Naturstoffe ausgeschlossen, da keine Cluster für Syntheseenzyme gefunden wurden. Somit können basale Pilze möglicherweise weitaus mehr Naturstoffe herstellen, als bisher angenommen. Sie zu identifizieren, ihre Rolle in der Natur zu erforschen und mögliche Anwendungen daraus abzuleiten, darin sieht Greßler mit seinem Team ein großes Potential für die Zukunft und gleichzeitig die Motivation für seine Forschungsarbeit.

Originalpublikation

Rassbach J, Hilsberg N, Haensch VG, Dörner S, Gressler J, Sonnabend R, Semm C, Voigt K, Hertweck C, Gressler M. (2023) Non-canonical two-step biosynthesis of anti-oomycete indole alkaloids in Kickxellales. Fungal Biology and Biotechnology, doi: 10.1186/s40694-023-00166-x.

Mitarbeiter*innen

Sebastian Dörner
Julia Greßler
Markus Greßler
Veit Hänsch
Christian Hertweck
Johannes Raßbach
Caroline Semm
Robin Sonnabend
Kerstin Voigt