Zufällige Evolution macht Umweltbakterium zum gefährlichen Erreger

Neue Erkenntnisse zum Virulenzmechanismus von Chromobacterium haemolyticum

| von Friederike Gawlik

Ingrid Richter vom Leibniz-HKI bei der Untersuchung einer Bakterienkultur von Chromobacterium haemolyticum, die im Reagenzglas einen dichten gelblichen Biofilm gebildet hat.
Ingrid Richter vom Leibniz-HKI bei der Untersuchung einer Bakterienkultur von Chromobacterium haemolyticum. Die Forschenden analysierten Naturstoffe des Bakteriums, die sowohl dessen Umweltfitness als auch seine krankmachenden Eigenschaften mitbestimmen. Diese Stoffe sind auch für die Bildung eines dichten Biofilms verantwortlich, der sich an der Gefäßoberfläche gebildet hat. © Ingrid Richter, Leibniz-HKI

Forschende des Leibniz-HKI in Jena haben gemeinsam mit Kolleg*innen der Universität Melbourne einen zentralen Virulenzmechanismus des opportunistischen Umweltbakteriums Chromobacterium haemolyticum aufgeklärt. Die in der Fachzeitschrift mBio veröffentlichte Studie zeigt, wie bestimmte Naturstoffe des Bakteriums sowohl dessen Umweltanpassung fördern als auch schwere Infektionen bei Mensch und Tier begünstigen.

„Wir haben uns ein Bakterium angeschaut, das in der Umwelt lebt und normalerweise völlig harmlos ist“, sagt Ingrid Richter, die die Studie gemeinsam mit Abteilungsleiter Christian Hertweck am Leibniz-HKI leitete. „Wenn es aber mit Mensch oder Tier in Kontakt kommt, kann es zum Krankheitserreger werden. Die Artbezeichnung haemolyticum lässt schon vermuten, dass es Blut zersetzt – aber was genau diese Wirkung verursacht, war bislang nicht bekannt.“ C. haemolyticum wurde 2008 erstmals beschrieben und seitdem in verschiedenen Umweltproben nachgewiesen, insbesondere in Gewässern tropischer und subtropischer Regionen, aber auch in klinischen Proben von teils lebensbedrohlichen Infektionen.

Wie die Forschenden jetzt herausfanden, ist eine Familie zyklischer Lipodepsipeptide für die starke hämolytische Aktivität von C. haemolyticum verantwortlich. Zu diesen Naturstoffen gehören das antimykotisch wirkende Jagaricin sowie zwei neu beschriebene Congenere, Jagaricin B und C. Diese Verbindungen zerstören rote Blutkörperchen und tragen damit wesentlich zur Pathogenität des Bakteriums bei – und sie können im Körper des Wirts einen immensen Schaden anrichten. Durch gezielte Gen-Deletionen konnten die Wissenschaftler*innen zeigen, dass Bakterien ohne das entsprechende Gencluster keine Hämolyse mehr auslösen.

Das Bild zeigt eine Agarplatte mit einer gezackten weiß-gelblichen Bakterienkolonie, die das Schwärmverhalten von C. haemolyticum verbildlicht.
Auf einer Agarplatte zeigt sich das charakteristische Schwärmverhalten des Umweltbakteriums Chromobacterium haemolyticum. Die gezackte Kolonieform ist typisch für den Wildtyp und wird durch die Produktion von Jagaricin und verwandten Naturstoffen induziert. © Ingrid Richter, Leibniz-HKI

„Wir hatten schon früher einen anderen Stamm untersucht, der Jagaricin produziert. Eine Substanz, die am Leibniz-HKI entdeckt wurde und ebenfalls hämolytisch wirkt“, erklärt Richter. „Dann haben wir mit Genome Mining, also der gezielten Suche im Erbgut nach Bauplänen für bestimmte Substanzen, weitergesucht und ein Gencluster gefunden, das in vielen Vertretern der Chromobacterium-Gruppe enthalten ist. Das haben wir aber nicht alleine gemacht. Das Team aus Melbourne hat uns bei der Sequenzierung der Genome und den bioinformatischen Analysen sehr gut unterstützt. Besonders spannend war für uns die Erkenntnis, dass zwei Umweltstämme aus völlig unterschiedlichen Quellen das gleiche Molekül produzieren. Das deutet darauf hin, dass es möglicherweise eine wichtige ökologische Funktion erfüllt.“

Und tatsächlich: Neben der Schädigung von Blutzellen übernehmen die Jagaricine eine wichtige Rolle für die Umweltfitness des Bakteriums. Sie sind maßgeblich an der Biofilmbildung und der Schwarmbewegung beteiligt. Beides sind Prozesse, die es C. haemolyticum ermöglichen, neue Lebensräume zu erschließen und sich gegen konkurrierende Mikroben durchzusetzen. „Auf der Agarplatte sieht man sehr schön, wie der Wildtyp ausschwärmt und in Flüssigkulturen sieht man, wie er Biofilme bildet. Das kann die Mutante ohne das Gencluster nicht mehr“, so Richter.

Das Bild zeigt eine Blutagarplatte mit zwei Kolonien, die den Wildtyp (rechts) und die Mutante (links) vergleichen. Beim Wildtyp ist die Hämolyse sichtbar.
Vergleich auf Blutagar: Während der Wildtyp von C. haemolyticum (rechts) eine deutliche, helle Hämolysezone zeigt, bleibt diese bei der Mutante ohne das Gencluster für die Bildung der Jagaricine aus (links). Jagaricin B und C zerstören rote Blutkörperchen und tragen zur Virulenz des Bakteriums bei. © Ingrid Richter, Leibniz-HKI

Diese Doppelfunktion macht die Substanzen zu sogenannten „Dual-Use“-Virulenzfaktoren: Sie fördern einerseits das Überleben des Bakteriums in der Umwelt, was ihre primäre Funktion zu sein scheint. Im Menschen wirken sie andererseits als Virulenzfaktoren und machen ihn krank. Die Studie liefert damit ein Beispiel für die sogenannte „zufällige“ Evolution: Hier können aus Eigenschaften, die eigentlich der Anpassung an die Umwelt dienen, krankheitsfördernde Mechanismen entstehen. Dieses Phänomen wird auch bei anderen opportunistischen Krankheitserregern beobachtet.

„Solche Erkenntnisse helfen uns, das Gefahrenpotenzial von Umweltmikroben besser einzuschätzen“, sagt Richter. „Langfristig eröffnen sie auch neue Wege für Anti-Virulenz-Strategien, die gezielt solche Mechanismen blockieren.“

Die Studie wurde im Rahmen des Exzellenzclusters „Balance of the Microverse“ sowie des Sonderforschungsbereichs ChemBioSys der Friedrich-Schiller-Universität Jena durchgeführt.

Originalpublikation

Dumjahn L, Wein P, Molloy EM, Scherlach K, Trottmann F, Meisinger PR, Judd LM, Pidot SJ, Stinear TP, Richter I, Hertweck C (2025) Dual-use virulence factors of the opportunistic pathogen Chromobacterium haemolyticum mediate hemolysis and colonization. mBio e0360524, https://doi.org/10.1128/mbio.03605-24.

Mitarbeiter*innen

Leo Dumjahn
Christian Hertweck
Philippe Meisinger
Evelyn Molloy
Ingrid Richter
Kirstin Scherlach
Felix Trottmann
Philipp Wein