Altruismus in der Zelle
Besondere Rolle von Mitochondrien bei der Abwehr von Pilzinfektionen
Jena/Barcelona. Infektionen durch Hefepilze der Gattung Candida lösen eine Immunantwort aus, die bisher ausschließlich bei der Abwehr von Viren, Bakterien oder Parasiten bekannt war. Ein Forschungsteam aus Jena und Barcelona identifizierte einen Mechanismus, der zur Behandlung der Infektion beitragen könnte, wie die Wissenschaftler*innen in der Zeitschrift Nature Microbiology berichten.
Pilze verursachen eine Vielzahl von Krankheiten beim Menschen, die von oberflächlichen Infektionen der Haut und Schleimhäute bis hin zu lebensbedrohlichen systemischen Erkrankungen reichen. Zu den häufigsten menschlichen Pilzerregern gehören Candida-Arten. Sie sind Teil gesunder mikrobieller Gemeinschaften, die unsere Schleimhäute besiedeln. Doch dann, wenn unser Immunsystem nicht richtig funktioniert, können diese Hefen verschiedene Infektionen verursachen:
Die sogenannte vulvovaginale Candidiasis zum Beispiel – eine Candida-Infektion der vaginalen Schleimhaut. 75 % der Frauen sind mindestens einmal in ihrem Leben davon betroffen. Bei dieser Infektion ziehen die Candida-Zellen aggressive Immunzellen an, die sogenannten Neutrophilen. Doch diese Zellen schaffen es nicht immer, die Infektion zu beseitigen und verursachen stattdessen schwere Schäden.
Die besondere Rolle der Mitochondrien
Forschende des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – (Leibniz-HKI) und des Institute for Research in Biomedicine in Barcelona (IRB) untersuchten im Rahmen eines gemeinsamen EU-Projekts die Wechselwirkungen zwischen Zellen des menschlichen Vaginalepithels und den vier häufigsten Candida-Spezies, die eine vulvovaginale Candidiasis verursachen können. Die Bioinformatiker*innen in Barcelona und die Mikrobiolog*innen in Jena charakterisierten die krankmachenden Eigenschaften der Pilze und untersuchten die Reaktionen der Epithelzellen im Zeitverlauf, um Einblicke in die Infektionsmechanismen und Immunabwehr zu erhalten. Dabei stießen sie auf mehrere Besonderheiten: Trotz der unterschiedlichen krankmachenden Eigenschaften der vier Candida-Spezies lösen sie in einem frühen Infektionsstadium den gleichen Abwehrmechanismus in der menschlichen Zelle aus.
„Wir fanden heraus, dass sich einige Mitochondrien – unsere zellulären Kraftwerke – kurz nach der Infektion in der infizierten Zelle opfern. Sie verändern ihre Form und geben ihre DNA in die Zelle ab. Dort gehört die mitochondriale DNA normalerweise nicht hin. Deshalb erkennt sie die Zelle als Alarmsignal und leitet daraufhin eine spezifische Immunantwort ein“, erläutert Bernhard Hube, dessen Team die Untersuchungen in Jena durchführte. Er ist Professor für Mikrobielle Pathogenität an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Abteilungsleiter am Leibniz-HKI.
Die besondere Immunantwort
Eine weitere Besonderheit war die Art der Immunantwort: Sie wurde bisher als Abwehr gegen Virusinfektionen und auch einige Bakterien und Parasiten beobachtet. Es ist das erste Mal, dass sie als Reaktion auf eine Pilzinfektion nachgewiesen wurde.
„Der eingeleitete Signalweg war eine sogenannte Interferon-Typ-I-Antwort. Unsere Experimente zeigten, dass diese Antwort schützend gegen eine Candida-Infektion wirkt und entzündungsfördernde Reaktionen dämpft.“ führt Hube weiter aus. Die Wissenschaftler*innen nehmen an, dass solch eine Immunantwort in Nischen relevant ist, die von eigentlich harmlosen Mikroben besiedelt sind. Dort toleriert der Wirt die Mikroorganismen ohne Entzündungen auszulösen.
„Das Wissen über die Infektionsprozesse und der Interaktion des Pilzes mit den Epithelzellen ist für die Entwicklung von effektiven therapeutischen Anwendungen ein wichtiger Meilenstein“, hält der Mikrobiologe abschließend fest.
Die Studie wurde im Rahmen eines „Innovative Training Network“ (ITN) durchgeführt. Zehn Partner aus sieben Ländern waren an dem inzwischen abgeschlossenen Vorhaben OPATHY beteiligt, das durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union gefördert wurde. „Die Förderung ermöglichte uns, mit exzellenten Partnern aus der EU zusammenzuarbeiten. Dieser konstruktive Austausch führt zu Forschungsergebnissen mit einem hohen Mehrwert“, bilanziert Hube.
Originalpublikation
Pekmezovic M, Hovhannisyan H, Gresnigt MS, Iracane E, Oliveira-Pacheco J, Siscar-Lewin S, Seemann E, Qualmann B, Kalkreuter T, Müller S, Kamradt T, Mogavero S, Brunke S, Butler G, Gabaldón T, Hube B (2021) Candida pathogens induce protective mitochondria-associated type I interferon signalling and a damage-driven response in vaginal epithelial cells. Nature Microbiology doi.org/10.1038/s41564-021-00875-2
Bildunterschrift
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Candida albicans bildet Filamente auf Epithelzellen, die dem Pilz helfen sich anzuheften und Infektionen auszulösen
Quelle: Leibniz-HKI (Holland, Özel, Zakikhany, Hube)
Das Leibniz-HKI
Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler des Leibniz-HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre biologische Aktivität untersucht und für mögliche Anwendungen als Wirkstoffe zielgerichtet entwickelt.
Das Leibniz-HKI verfügt über sieben wissenschaftliche Abteilungen und vier Forschungsgruppen, deren Leiter überwiegend berufene Professoren der Friedrich-Schiller-Universität Jena sind. Hinzu kommen mehrere Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut. Gemeinsam mit der FSU betreibt das HKI die Jena Microbial Resource Collection, eine umfassende Sammlung von Mikroorganismen und Naturstoffen. Zurzeit arbeiten etwa 450 Personen am Leibniz-HKI, davon 150 Promovierende.
Das Leibniz-HKI ist Kernpartner großer Verbundvorhaben wie dem Exzellenzcluster Balance of the Microverse, der Graduiertenschule Jena School for Microbial Communication, der Sonderforschungsbereiche FungiNet (Transregio), ChemBioSys und PolyTarget, des Zentrums für Innovationskompetenz Septomics sowie von InfectControl, einem Konsortium im BMBF-Programm Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation. Das Leibniz-HKI ist zudem Nationales Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen.
Die Leibniz-Gemeinschaft
Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 96 selbständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften.
Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit.
Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen - in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Die Leibniz-Institute unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 20.000 Personen, darunter 10.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das Finanzvolumen liegt bei 1,9 Milliarden Euro.
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