Alter Wirkstoff im neuen Gewand
Fachblatt Angewandte Chemie International Edition berichtet von vielversprechender Verbindung – entdeckt am Jenaer Hans-Knöll-Institut
Von Tina Kunath
Jena. Mindestens 7.500 bis 15.000 Menschen sterben laut Bundesgesundheitsministerium in Deutschland jedes Jahr an Infektionen im Krankenhaus – Tendenz steigend. Neue Wirkstoffe gegen Infektionen werden also dringend benötigt. Der Weg dorthin ist beschwerlich. Mit der Entdeckung neuer chemischer Verbindungen ist jedoch ein Anfang gemacht, der den Weg zu neuen Therapeutika eröffnen kann.
Vielversprechend sind sie allemal, die neuen Wirkstoffe, die Ling Ding und Martin Baunach vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut bei ihrer Forschung an Bakterien aus Mangrovenpflanzen entdeckt haben: Sie sind aktiv gegen antibiotikaresistente Keime, ohne menschliche Zellen zu schädigen. Doch handelt es sich dabei nicht um gänzlich unbekannte Verbindungen. Bereits vor über 100 Jahren wurden ähnliche Wirkstoffe, die Sulfonamide, synthetisch hergestellt. 1935 entdeckte der spätere Nobelpreisträger Paul Domagk die Wirksamkeit der Sulfonamide gegen bakterielle Erkrankungen. Diese Entdeckung läutete den medizinischen Einsatz der Sulfonamide als Antibiotika ein.
Während die meisten Antibiotika aus Bakterien und Pilzen gewonnen werden, entstehen die bislang bekannten Sulfonamide im Reagenzglas und wurden in der Natur nie gefunden. Umso überraschter waren die HKI-Wissenschaftler also, als sie ähnliche Verbindungen in Bakterien entdeckten, die natürlicherweise in Mangrovenpflanzen leben. „Teile der Wirkstoffe, die wir gefunden haben, haben frappierende Ähnlichkeit mit den alten Verbindungen aus dem beginnenden 20. Jahrhundert“, weiß Martin Baunach, der in der Abteilung Biomolekulare Chemie am HKI promoviert. „Schaut man sich dann aber den genauen Aufbau an, so stellt man fest, dass sie sich in einem für die Wirkung wichtigen Abschnitt unterscheiden. Demnach scheint die Natur nicht dieselben Mechanismen zu nutzen, die die synthetischen Stoffe zu solch wirksamen Antibiotika macht – vielmehr handelt es sich sehr wahrscheinlich um einen neuartigen Wirkmechanismus.“
Die Unterschiede zu den synthetisch hergestellten „klassischen“ Sulfonamiden könnten sich nun als Vorteil für die neuen Naturstoffe erweisen: Vor allem im Einsatz gegen multiresistente Krankheitserreger sind Wirkstoffe mit abweichendem chemischen Aufbau von Bedeutung. Sie können gefährliche Erreger anders und in unerwarteter Weise ‚angreifen‘ und eignen sich somit für die Weiterentwicklung zum Medikament. Ihre Erkenntnisse veröffentlichten Ling Ding und Martin Baunach soeben in der weltweit renommierten Zeitschrift Angewandte Chemie International Edition.
Bildunterschrift
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Martin Baunach und Ling Ding vom HKI betrachten eine Kulturschale mit den Wirtsbakterien, die die neuen Wirkstoffe produzieren.
Quelle: HKI/Tina Kunath
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Das HKI verfügt über fünf wissenschaftliche Abteilungen, deren Leiter gleichzeitig berufene Professoren der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) sind. Hinzu kommen mehrere Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut, darunter das anwendungsorientierte Biotechnikum als Schnittstelle zur Industrie. Gemeinsam mit der FSU betreibt das HKI die Jena Microbial Resource Collection, eine umfassende Sammlung von Mikroorganismen und Naturstoffen. Zurzeit arbeiten etwa 400 Personen am HKI, davon 130 als Doktoranden.
Das HKI ist Initiator und Kernpartner großer Verbundvorhaben wie der Exzellenz-Graduiertenschule Jena School for Microbial Communication, der Sonderforschungsbereiche FungiNet (Transregio) und ChemBioSys, des Zentrums für Innovationskompetenz Septomics sowie von InfectControl 2020, einem Konsortium im BMBF-Programm Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation. Seit 2014 ist das HKI Nationales Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen.
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