Bei Angriff: Verteidigung
Jenaer Wissenschaftler entdecken Pilz, der Gift zielgerichtet gegen Fraßfeinde einsetzt
Von Tina Kunath
Jena. Gefressen oder gefressen werden – für die Verteidigung gegen Fraßfeinde hat der Pilz BY1 einen ganz speziellen Mechanismus entwickelt: Knabbert beispielsweise ein Insekt an ihm, produziert er ein Gift, das die Entwicklung seiner Fraßfeinde hemmt. Das Wissen um diesen Mechanismus konnten Jenaer Wissenschaftler nun in der angesehenen Fachzeitschrift Journal of Natural Products veröffentlichen.
Der Fund des Pilzes BY1 ist ein Produkt des Zufalls: Dirk Hoffmeister, Professor für Pharmazeutische Mikrobiologie am Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (HKI) und der Friedrich-Schiller-Universität Jena, hatte sich schon früher für den Pilz aus dem US-amerikanischen Minnesota interessiert. „Mein Mentor dort, Robert Blanchette, hatte diesen Pilz zufällig im Norden Minnesotas gefunden. Das Kuriose dabei: Er wurde nur ein einziges Mal und dann nie wieder gefunden. Er existierte für die Wissenschaft also quasi nicht – ein Kind ohne Namen, aber mit interessanten Eigenschaften.“ Für die weitere Forschung heißt er schlicht BY1.
In Jena widmen sich Dirk Hoffmeister und sein Team erneut dem Pilz und stoßen dabei ganz zufällig auf dessen Fähigkeiten. „Als erstes fiel uns auf, dass der Pilz sich beim Übertragen in neue Kulturgefäße an verletzten Stellen gelb färbt. Er reagiert also auf Verletzung seiner Zellen.“ Diese Beobachtung kombinierten die Wissenschaftler mit denen von Robert Blanchette: Er hatte den Pilz auf dem Totholz einer Zitterpappel gefunden, das ansonsten völlig unbewachsen war. Ein Hinweis darauf, dass der Pilz andere Organismen verdrängt. Nun lautet die These: Wird der Pilz von Fraßfeinden bedroht, also beispielsweise von einem Insekt angeknabbert, reagiert er mit der Produktion eines gelb gefärbten Giftstoffes, der die Vermehrung der Insekten hemmt und damit deren Population schwächt.
Vier Jahre forschten die Wissenschaftler an der Gesamtheit der Inhaltsstoffe des Pilzes, auch um auf dessen Wirkweise auf andere Lebewesen schließen zu können. Das Ergebnis ihrer Forschung erlaubt Rückschlüsse auf die Auseinandersetzung von Pilzen mit ihrer Umwelt. Die Erkenntnisse wurden nun im Journal of Natural Products veröffentlicht. „Diese Arbeit ist ein klassisches Beispiel dafür, dass die Zusammenarbeit zwischen Universität und außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Jena fantastisch funktioniert“, so Dirk Hoffmeister. „Die Expertise junger Doktoranden und gestandener Wissenschaftler aus dem Institut für Pharmazie der Universität, dem Hans-Knöll-Institut und dem Max-Planck-Institut für chemische Ökologie ist zusammengekommen und hat diese spannenden Ergebnisse hervorgebracht.“
Im nächsten Schritt wird die Funktion der Naturstoffe in der Wechselwirkung zwischen Pilz und Umwelt erforscht. Werden beispielsweise Wirkstoffe gegen andere Pilze oder Bakterien entdeckt, könnten diese interessant für einen möglichen zukünftigen Einsatz in der Medizin sein.
Originalpublikation
Schwenk D, Nett M, Dahse HM, Horn U, Blanchette RA, Hoffmeister D (2014) Injury-induced biosynthesis of methyl-branched polyene pigments in a white-rotting Basidiomycete. J Nat Prod 77, 2658-2663.
Bildunterschriften
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An verletzten Stellen färbt sich der Pilz BY1 gelb – ein Hinweis auf seine giftige Wirkung auf Fraßfeinde.
Quelle: Daniel Schwenk/HKI
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Unendlich bewaldete Weiten: In diesem Wald im nördlichen Minnesota fand der US-amerikanische Mykologe Robert Blanchette (University of Minnesota) den Pilz BY1.
Quelle: Dirk Hoffmeister/HKI
Informationen zum HKI
Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler des HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre biologische Aktivität untersucht und für mögliche Anwendungen als Wirkstoffe zielgerichtet modifiziert.
Das HKI verfügt über fünf wissenschaftliche Abteilungen, deren Leiter gleichzeitig berufene Professoren der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) sind. Hinzu kommen mehrere Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut, darunter das anwendungsorientierte Biotechnikum als Schnittstelle zur Industrie. Gemeinsam mit der FSU betreibt das HKI die Jena Microbial Resource Collection, eine umfassende Sammlung von Mikroorganismen und Naturstoffen. Zurzeit arbeiten mehr als 380 Personen am HKI, davon 130 als Doktoranden.
Das HKI ist Initiator und Kernpartner großer Verbundprojekte wie der Exzellenz-Graduiertenschule Jena School for Microbial Communication, der Sonderforschungsbereiche FungiNet (Transregio) und ChemBioSys, des Zentrums für Innovationskompetenz Septomics sowie von InfectControl 2020 – Neue Antiinfektionsstrategien, einem Vorhaben im BMBF-Programm Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation. Seit 2014 ist das HKI Nationales Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen.
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Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer in Richtung Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Institute pflegen intensive Kooperationen mit den Hochschulen – u.a. in Form der WissenschaftsCampi –, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem maßstabsetzenden transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam.
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