Ein vielversprechender Wirkstoff
Closthioamid, der „Leibniz-Wirkstoff des Jahres“, wurde am Hans-Knöll-Institut entdeckt
Die Pest brachte im Mittelalter vielen Millionen Menschen den Tod. Auch heute noch sterben mehrere Millionen Menschen jährlich an Infektionen durch Bakterien, Viren und Pilze. Weil sich die Erreger rasend schnell verbreiten und genetisch verändern, suchen Wissenschaftler auf der ganzen Welt nach neuen Medikamenten. In Jena sind sie auf die vielversprechende Substanz Closthioamid gestoßen, die nun zum Leibniz-Wirkstoff des Jahres gewählt wurde.
Ein wenig Hartnäckigkeit mussten Christian Hertweck und sein Team vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut schon aufbringen, um dem Bodenbakterium Clostridium cellulolyticum seinen wirkungsvollen Inhalt zu entlocken: Sie änderten Temperatur, pH-Wert und die Zugabe von Nährstoffen – ohne Erfolg. Dann besannen sich die Forscher auf die Herkunft des Bakteriums und gaben Bodenextrakt hinzu. Das Ergebnis: Sogenannte schlafende Gene wurden im Bakterium angeschaltet und der neue Naturstoff Closthioamid wurde freigesetzt. Er könnte Basis für ein vielversprechendes Antibiotikum sein, denn bereits in den ersten Untersuchen wirkte er unter anderem gegen multiresistente Krankheitserreger wie den Krankenhauskeim Staphylococcus aureus.
„Offensichtlich muss man nur die richtigen Bedingungen finden, um den Mikroorganismen ihre Schätze zu entlocken. Durch unsere Arbeit wird klar, dass das Potential einer riesigen Organismengruppe bislang völlig übersehen wurde“, so Christian Hertweck. Denn Clostridium cellulolyticum gehört zur Gruppe der anaeroben, also sauerstofffeindlichen Bakterien, die bisher bei der Produktion von Antibiotika eher übersehen wurden. Die Tatsache, dass dieses Bakterium einen antiinfektiösen Wirkstoff bildet, könnte dafür sorgen, dass auch andere anaerobe Bakterien näher untersucht werden. Und dass Wissenschaftler so auf neue Antibiotika stoßen, die dringend benötigt werden.
Für die Fachwelt war die Entdeckung von Closthioamid mit seiner äußerst ungewöhnlichen Molekülstruktur ein Paukenschlag. Er führte zu einer Patentanmeldung und allein zu drei Veröffentlichungen im Fachblatt Angewandte Chemie International Edition – einer der weltweit angesehensten Zeitschriften für Chemiker.
Der Forschungsverbund Wirkstoffe und Biotechnologie, in dem sich 17 Leibniz-Institute vereinen, wählte Closthioamid nun zum Leibniz-Wirkstoff des Jahres. Den mit 2000 Euro dotierten Preis erhalten Swantje Behnken, Keishi Ishida, Florian Kloss und Thorger Lincke. Die vier jungen Wissenschaftler aus Hertwecks Team waren maßgeblich an der Entdeckung und Erforschung des neuen Wirkstoffes beteiligt. Die Preisverleihung fand anlässlich der Wirkstofftage 2014 am 28. April in Berlin statt.
Originalveröffentlichungen
Lincke T, Behnken S, Ishida K, Roth M, Hertweck C (2010) Closthioamide: an unprecedented polythioamide antibiotic from the strictly anaerobic bacterium Clostridium cellulolyticum. Angew Chem Int Ed Engl. 49: 2011-2013.
Behnken S, Lincke T, Kloss F, Ishida K, Hertweck C (2012) Antiterminator-mediated unveiling of cryptic polythioamides in an anaerobic bacterium. Angew Chem Int Ed Engl. 51: 2425-2428.
Kloss F, Pidot S, Goerls H, Friedrich T, Hertweck C (2013) Formation of a dinuclear copper(I) complex from the Clostridium-derived antibiotic closthioamide. Angew Chem Int Ed Engl. 52: 10745-10748.
Informationen zum HKI
Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler des HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre biologische Aktivität untersucht und für mögliche Anwendungen als Wirkstoffe zielgerichtet modifiziert.
Das HKI verfügt über fünf wissenschaftliche Abteilungen, deren Leiter gleichzeitig berufene Professoren der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) sind. Hinzu kommen mehrere Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut, darunter das anwendungsorientierte Biotechnikum als Schnittstelle zur Industrie. Gemeinsam mit der FSU betreibt das HKI die Jena Microbial Resource Collection, eine umfassende Sammlung von Mikroorganismen und Naturstoffen. Zurzeit arbeiten mehr als 350 Personen am HKI, davon 120 als Doktoranden.
Das HKI ist Initiator und Kernpartner großer Verbundprojekte wie der Exzellenz-Graduiertenschule Jena School for Microbial Communication, des Sonderforschungsbereiches/Transregio FungiNet, des Zentrums für Innovationskompetenz Septomics sowie von InfectControl 2020 – Neue Antiinfektionsstrategien, einem Vorhaben im BMBF-Programm Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation. Seit 2014 ist das HKI Nationales Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen.
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Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 89 selbständige Forschungseinrichtungen. Deren Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute bearbeiten gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevante Fragestellungen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Grundlagenforschung. Sie unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an.
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