Für eine Zukunft ohne Plastikmüll
Schülerinnen erforschen am Leibniz-HKI den biologischen Abbau eines von Mikroorganismen hergestellten Biokunststoffes
Jena. Die Abiturientinnen Francesca Meister und Anne-Josephin Schoele haben genug vom Plastikwahn. Kunststoffe im Alltag zu vermeiden, reicht ihnen aber nicht. Ein Jahr lang forschen sie am Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena an biologisch abbaubaren Alternativen.
Francesca und Anne-Josephin sind zwei ganz normale 17-Jährige. Sie spielen in ihrer Freizeit im Volleyballverein, joggen und reiten gern. Darüber hinaus haben die beiden Freundinnen eine große Leidenschaft: die Biochemie. Als Schülerinnen des naturwissenschaftlichen Carl-Zeiss-Gymnasiums in Jena hatten sie im Unterricht bereits erste Kontakte mit diesem Fachgebiet.
Eine geniale Lösung
Für ihre Seminarfacharbeit, die ein wesentlicher Baustein des Thüringer Abiturs ist, wählten sie das Thema Biopolymere. Das sind biologisch abbaubare Materialien, die herkömmliche Kunststoffe ersetzen können. „So haben wir nicht nur Spaß an biochemischen Experimenten, sondern können auch noch einen Beitrag zur Lösung des Umweltproblems durch Plastikmüll leisten“, erklärt Francesca. Denn der langsame oder fehlende natürliche Abbau von Kunststoffen auf Erdölbasis ist ein weltweites Problem für den globalen Umweltschutz. Die zunehmende Verschmutzung der Gewässer hat verheerende Folgen für die darin lebende Tierwelt. „Umweltverträgliche Alternativen zu herkömmlichen Kunststoffen scheinen uns eine geniale Lösung“, fassen die Schülerinnen ihre Begeisterung in Worte.
In den Sommerferien kultivierten die Schülerinnen deshalb das Bakterium Ralstonia eutropha im Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie (Leibniz-HKI). Die Bakterien stellen Polyhydroxybuttersäure (PHB) her und lagern das energiereiche Polymer als Speicherstoff für schlechte Zeiten ein. „Das Experimentieren ist immer wieder spannend. Es macht Spaß, alles um sich herum vergessen zu können, während man sich komplett auf einen Versuch konzentriert“, schwärmt Anne-Josephin. Um herauszufinden, ob PHB unter natürlichen Bedingungen biologisch abbaubar ist, stellten die Schülerinnen im Labor Folien aus PHB her und vergruben sie im Komposthaufen eines Kleingartens. Über ein ganzes Jahr hinweg dokumentierten sie das Fortschreiten der Zersetzung. „Zusätzlich zu den täglichen Schularbeiten ist das mitunter wirklich anstrengend, aber man wird mit tollen Ergebnissen belohnt“, strahlt Francesca und zeigt die von Mikroorganismen zerlöcherten Folien, die sie schon nach wenigen Wochen im Kompost entdeckte.
Maßgeschneiderte Bio-Kunststoffe
Besonders spannend findet die angehende Medizinstudentin Anne-Josephin die Anwendungsmöglichkeiten als Verpackungs- oder medizinisches Nahtmaterial. „Es ist toll, wie verschiedene Härtegrade durch die unterschiedlichen Herstellungsmethoden erreicht werden können“, fügt Francesca hinzu, die bald Pharmazie oder Chemie studieren wird.
Bei der wissenschaftlichen Auswertung der Ergebnisse bekamen die Schülerinnen Unterstützung von ihren Betreuern am Leibniz-HKI. Dort erforschen Wissenschaftler gemeinsam mit Industriepartnern neue Verfahren zur Herstellung von Biopolymeren. Sie wollen die Effizienz steigern und damit die Herstellungskosten senken, um künftig mit Erdöl-basierten Produkten konkurrieren zu können. Außerdem variieren sie mit biotechnologischen Methoden die Eigenschaften der Naturprodukte, um maßgeschneiderte Materialien für den jeweiligen Anwendungszweck zu erhalten. Die Anwendungsgebiete ergeben sich aus den plastischen Eigenschaften des Biopolymers: zu Fäden gezogen kommt es als hochwertiges chirurgisches Nahtmaterial bereits weltweit zum Einsatz. Nach der Wundheilung zersetzen sich die Fäden rückstandslos und müssen nicht mehr gezogen werden. Als netzartige Gaze verarbeitet, dient es der Gewebestabilisierung, z. B. bei Leistenbrüchen. In Zukunft soll es als Folie auf großflächige Verbrennungswunden zur Vermeidung von Infektionen aufgelegt werden.
Noch zu teuer
Dr. Gundela Peschel arbeitet im Biotechnikum des Leibniz-HKI seit langem an der biotechnologischen Herstellung von Biopolymeren. Sie betreute die Experimente der Schülerinnen und meint: „Biopolymere aus natürlichen Ausgangsstoffen sind eine mögliche Lösung des Kunststoffproblems. Sie stehen konventionellen Plastikmaterialien in ihrer Haltbarkeit, Temperaturbeständigkeit und den Verarbeitungseigenschaften in nichts nach, sind teilweise sogar besser. Die großtechnische Produktion bakterieller Biopolymere ist heute noch deutlich teurer als die herkömmliche Herstellung von Kunststoffen. Verbesserte biotechnologische Verfahren, steigende Erdölpreise und vor allem ein beginnender Wertewandel in der Gesellschaft lassen jedoch eine plastikärmere Zukunft realistisch erscheinen.“
MINT-Festival Jena: Entdecke den Naturwissenschaftler in Dir
Für Anne-Josephin und Francesca geht das Forschungsprojekt im Januar 2019 mit der Verteidigung ihrer Ergebnisse zu Ende. Ihre Begeisterung für Naturwissenschaften konnten alle Schüler aus Jena und Umgebung anlässlich des MINT-Festivals in dieser Woche entdecken und ausleben: Friedrich-Schiller-Universität, Beutenberg-Institute und zahlreiche Unternehmen boten unterhaltsame Wissenschaftsshows, Vorträge, Mitmach-Ausstellungen und einen Schülerwettbewerb in den MINT-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. www.mint.uni-jena.de
Bildunterschriften
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Folien aus Biopolymeren könnten die neuen, abbaubaren Lebensmittelverpackungen werden. Die Schülerinnen Anne-Josephin und Francesca kontrollieren die Qualität einer selbst hergestellten PHB-Folie im Biotechnikum des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie.
Quelle: Sina Gerbach, Leibniz-HKI
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Ralstonia eutropha – die Bakterien speichern Polyhydroxybuttersäure (PHB) als Reservestoff für schlechte Zeiten. In Bioreaktoren wird mit ihrer Hilfe PHB im Kilogramm-Maßstab hergestellt.
Quelle: Francesca Meister und Anne-Josephin Schoele
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Biologisch abbaubar: schon nach wenigen Wochen im Kompost haben die dort vorhandenen Mikroorganismen die Folie angegriffen und teilweise aufgelöst.
Quelle: Francesca Meister und Anne-Josephin Schoele
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Nach der Extraktion aus Bakterien wird Polyhydroxybuttersäure bis zur Weiterverarbeitung zu Fäden, Netzen oder Folien als Granulat gelagert.
Quelle: Sina Gerbach, Leibniz-HKI
Das Leibniz-HKI
Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler des Leibniz-HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre biologische Aktivität untersucht und für mögliche Anwendungen als Wirkstoffe zielgerichtet modifiziert.
Das Leibniz-HKI verfügt über fünf wissenschaftliche Abteilungen, deren Leiter gleichzeitig berufene Professoren der Friedrich-Schiller-Universität Jena sind. Hinzu kommen mehrere Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut, darunter das anwendungsorientierte Biotechnikum als Schnittstelle zur Industrie. Gemeinsam mit der FSU betreibt das HKI die Jena Microbial Resource Collection, eine umfassende Sammlung von Mikroorganismen und Naturstoffen. Zurzeit arbeiten etwa 430 Personen am Leibniz-HKI, davon 140 als Doktoranden.
Das Leibniz-HKI ist Initiator und Kernpartner großer Verbundvorhaben wie der Exzellenz-Graduiertenschule Jena School for Microbial Communication, der Sonderforschungsbereiche FungiNet (Transregio) und ChemBioSys, des Zentrums für Innovationskompetenz Septomics sowie von InfectControl 2020, einem Konsortium im BMBF-Programm Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation. Das Leibniz-HKI ist Nationales Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen.
Die Leibniz-Gemeinschaft
Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 93 selbständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen - u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 19.100 Personen, darunter 9.900 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,9 Milliarden Euro.
Ansprechpartner
Dr. Michael Ramm
Wissenschaftliche Organisation
Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie e. V. – Hans-Knöll-Institut (HKI) –
Adolf-Reichwein-Straße 23
07745 Jena
+49 3641 5321011
+49 176 54909562