Ko-Infektion: Die Summe ist mehr als ihre Teile
Komplexes Wechselspiel zwischen Mensch, Pilz und Virus
Jena. Infektionen mit zwei Erregern stellen in der Klinik ein großes Problem dar. Forscher aus Würzburg und Jena haben eine Technik entwickelt, die neue Einblicke in diese Prozesse liefert. Sie eignet sich auch als Frühwarnsystem.
Organ- und Stammzelltransplantationen sind heutzutage im klinischen Alltag bewährte und häufig eingesetzte Methoden. Doch auch wenn sie an spezialisierten Zentren häufig durchgeführt werden, kommt es bei Patientinnen und Patienten im Anschluss daran immer wieder zu einer Reihe unerwünschter schwerer Komplikationen. Unter anderem Infektionen mit Pilzen und Viren können dann den Erfolg der Therapie gefährden. Gefürchtet ist beispielsweise das gemeinsame Auftreten des Zytomegalievirus, das zur Familie der Herpesviren gehört, und des Pilzes Aspergillus fumigatus. Diese Kombination von Krankheitserregern stellt eine ernsthafte medizinische Bedrohung bei der Organ- und Stammzelltransplantation dar.
Wenn Viren und Pilze sich verbünden
Ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus mehreren deutschen Forschungseinrichtungen und Kliniken hat jetzt eine neue Methode entwickelt, mit der sie diese beiden Erreger und deren Interaktion sowohl untereinander als auch mit den von ihnen infizierten menschlichen Zellen unter die Lupe genommen hat. Das zentrale Ergebnis: Die Ko-Infektion mit den beiden Erregern ist mehr „als die Summe ihrer Teile“. Viren und Pilze wirken im menschlichen Organismus synergistisch zusammen und aktivieren dort einige Gene, die nur bei der gleichzeitigen Infektion mit beiden Erregern aktiv werden.
An der Studie beteiligt waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU), des Würzburger Universitätsklinikums (UKW), vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena (Leibniz-HKI) sowie vom Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg, einem Standort des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI). Die Ergebnisse haben sie jetzt in der aktuellen Fachzeitschrift Cell Reports veröffentlicht.
Neue Einblicke dank einer neuen Technik
„Wir haben für unsere Studie ein Verfahren namens Triple-RNA-seq entwickelt“, erklärt Alexander Westermann. Er ist Juniorprofessor am Lehrstuhl für Molekulare Infektionsbiologie I der JMU sowie Gruppenleiter am HIRI und gemeinsam mit Professor Jürgen Löffler vom UKW und Sascha Schäuble vom Leibniz-HKI einer der Hauptautoren der jetzt veröffentlichten Studie. Die Wissenschaftler haben dafür ein Verfahren weiterentwickelt, das seit Jahren fester Bestandteil der Infektionsforschung ist.
RNA-Sequenzierung: Diese Technik ermöglicht es, in einem Hochdurchsatzverfahren gleichzeitig die Aktivitäten tausender Gene auf RNA-Ebene präzise zu bestimmen und damit die im Rahmen von Erkrankungen auftretenden Veränderungen zu erkennen und besser zu verstehen. Ihre Weiterentwicklung – die duale RNA-Sequenzierung – erlaubt es im Unterschied dazu, nicht nur die Genaktivität eines Krankheitserregers zu dokumentieren, sondern gleichzeitig auch die Reaktion der von ihm befallen Wirtszelle. Damit ist es möglich, komplexe Kausalketten im zeitlichen Verlauf einer Infektion nachzuvollziehen.
Forschung an Immunzellen
Und nun also die Erweiterung auf die Genexpression von drei Akteuren in ihrem Wechselspiel – die Triple-RNA-Sequenzierung. „Bislang weiß die Wissenschaft in vielen Fällen nicht, warum eine Infektion mit einem bestimmten Erreger den Betroffenen für eine Sekundärinfektion mit einem zweiten Erreger anfälliger machen kann“, erklärt Jürgen Löffler, Molekularbiologe an der Medizinischen Klinik II des UKW. In solchen Fällen habe auch die duale RNA-seq nicht die gewünschten Antworten liefern können.
In ihrer Studie haben die Forscherinnen und Forscher mit der von ihnen entwickelten Triple-RNA-seq-Methode untersucht, was passiert, wenn bestimmte Zellen des Immunsystems – sogenannte von Monozyten abgeleitete dendritische Zellen – sowohl mit Aspergillus fumigatus als auch mit dem humanen Zytomegalievirus infiziert sind.
Dabei konnten sie nachweisen, dass die beiden Erreger sich gegenseitig beeinflussen und damit gleichzeitig auf die Immunzelle einwirken – und das auf eine andere Weise, als es ein Erreger alleine bewirken könnte. Beispielsweise schwächte das Zytomegalievirus die durch den Pilz vermittelte Aktivierung entzündungsfördernder Signalketten ab, während Aspergillus fumigatus die virale Clearance beeinträchtigt – also die Zeit, die es dauert, bis das Virus in Tests nicht mehr nachweisbar ist.
Bioinformatische Datananalyse
Die Analyse der RNA-Sequenzen nach dem neuen Triple-RNA-seq-Verfahren förderte immense Datenmengen zutage. Die Bioinformatiker des Leibniz-HKI übernahmen in der Studie die Aufgabe, diese Daten auszuwerten und die darin enthaltenen Informationen herauszufiltern. Hierzu entwickelten und analysierten sie am Computer nter anderem sogenannte Korrelationsnetzwerke. Mit Hilfe solcher Netzwerke können die Wissenschaftler statistisch abgesichert genau diejenigen Gene identifizieren, die die komplexen Wechselwirkungen der drei Partner Mensch, Pilz und Virus steuern.
Hoffnung auf einen Biomarker
So hat das Team spezielle Gene in den Immunzellen identifiziert, deren Expression sich während einer gemeinsamen Infektion beider Erreger im Vergleich zu einer Einzelinfektion signifikant unterscheidet. Diese könnten somit als Biomarker für eine zeitnahe Identifizierung einer Ko-Infektion nach einer Transplantation dienen.
Die Wissenschaftler hoffen nun, dass es mit Hilfe der Triple-RNA-seq-Technologie gelingt, auch andere Fälle gemeinsamer Infektionen – etwa von Viren und Bakterien – besser zu verstehen und deren häufig schwerwiegende Folgen zu verhindern. „Vielversprechende Modelle zum Verständnis, wie eine Infektion den Wirt anfälliger für einen weiteren Erreger macht, sind unter anderem bestimmte Salmonellen und das Humane Immundefizienz-Virus (HIV), Streptokokken und das Influenzavirus oder Chlamydien und das menschliche Herpesvirus“, sagt Westermann. Er selbst will allerdings in einem nächsten Schritt mit der Triple-RNA-seq-Technik Infektionen erforschen, bei denen zwei unterschiedliche Bakterienarten gemeinsam den Krankheitsverlauf beeinflussen.
Forschen im Verbund
Die Forschungsergebnisse sind ein Ergebnis der intensiven Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Sonderforschungsbereich/Transregio FungiNet. In dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Verbund erforschen Biologen, Mediziner und Bioinformatiker aus Jena und Würzburg die molekularen Mechanismen von Pilzinfektionen beim Menschen. Ein tieferes Verständnis der Infektionsprozesse und der Abwehr durch das menschliche Immunsystem sollen helfen, solche Infektionen künftig schneller zu erkennen und erfolgreich zu behandeln.
Originalpublikation
Seelbinder B*, Wallstabe J*, Marischen L*, Weiss E, Wurster S, Page L, Löffler C, Bussemer L, Schmitt AL, Wolf T, Linde J, Cicin-Sain L, Becker J, Kalinke U, Vogel J, Panagiotou G, Einsele H, Westermann AJ*, Schäuble S*, Loeffler L* (2020) Triple RNA-seq reveals synergy in a human virus-fungus co-infection model. Cell Reports, DOI: 10.1016/j.celrep.2020.108389. (*gleiche Beiträge)
Das Leibniz-HKI
Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler des Leibniz-HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre biologische Aktivität untersucht und für mögliche Anwendungen als Wirkstoffe zielgerichtet modifiziert.
Das Leibniz-HKI verfügt über sechs wissenschaftliche Abteilungen und vier Forschungsgruppen, deren Leiter überwiegend berufene Professoren der Friedrich-Schiller-Universität Jena sind. Hinzu kommen mehrere Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut, darunter das anwendungsorientierte Biotechnikum als Schnittstelle zur Industrie. Gemeinsam mit der FSU betreibt das HKI die Jena Microbial Resource Collection, eine umfassende Sammlung von Mikroorganismen und Naturstoffen. Zurzeit arbeiten etwa 450 Personen am Leibniz-HKI, davon 150 Promovierende.
Das Leibniz-HKI ist Kernpartner großer Verbundvorhaben wie dem Exzellenzcluster Balance of the Microverse, der Graduiertenschule Jena School for Microbial Communication, der Sonderforschungsbereiche FungiNet (Transregio), ChemBioSys und PolyTarget, des Zentrums für Innovationskompetenz Septomics sowie von InfectControl 2020, einem Konsortium im BMBF-Programm Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation. Das Leibniz-HKI ist zudem Nationales Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen.
Die Leibniz-Gemeinschaft
Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 96 selbständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften.
Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit.
Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen - in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Die Leibniz-Institute unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 20.000 Personen, darunter 10.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das Finanzvolumen liegt bei 1,9 Milliarden Euro.
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sascha.schaeuble@leibniz-hki.de
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