Körpereigenes Protein löst Entzündungsreaktion aus
FHR1 verschlechtert Gesundheitszustand von Patienten mit chronischen Zellschädigungen
Jena. Wissenschaftler aus Jena haben ein menschliches Eiweiß identifiziert, das autoinflammatorische Reaktionen auslöst. Das ist vor allem bei chronischen Erkrankungen problematisch: Ist die Entzündung sonst ein Teil des Heilungsprozesses, verschlimmert sie die Lage bei Patienten mit etwa chronischen Gefäßentzündungen genannt Vaskulitiden. Ihre Erkenntnisse veröffentlichten die Jenaer Forscher kürzlich in Nature Communications.
Langanhaltende Entzündungen sind Begleiterscheinungen vieler Krankheiten. Besonders bei Infektionen mit Bakterien, Pilzen oder Viren dienen sie dazu, die Vermehrung der Erreger durch eine Temperaturerhöhung zu bremsen und Bestandteile des Immunsystems zu aktivieren, die den Heilungsprozess unterstützen. Bei chronischen autoinflammatorischen Erkrankungen tritt die Entzündungsreaktion allerdings nicht in den Heilungsprozess über. Körpereigene Zellen geraten aus ihrem Gleichgewicht und der Krankheitsprozess wird so verstärkt. Der Verlauf ist oft chronisch oder tritt schubweise auf und verursacht typische Beschwerden wie Fieber, Schmerzen und Müdigkeit.
Ein von Jenaer Wissenschaftlern geleitetes Forscherteam hat jetzt ein Eiweiß identifiziert, das für sogenannte autoinflammatorische Reaktionen beim Menschen verantwortlich ist. Das körpereigene Faktor H-verwandte Protein FHR1 bindet an absterbende Zellen, die bei verschiedenen Krankheiten im Menschen entstehen. Damit setzt es eine Entzündungsreaktion in Gang, welche die Krankheit verstärkt und das Befinden der Patienten stark beeinträchtigen kann. Betroffen sind verbreitete Krankheiten aber auch seltene Erkrankungen wie die ANCA-assoziierten Vaskulitiden (AAV). Bei dieser langanhaltenden Erkrankung handelt es sich um eine seltene, potenziell lebensbedrohliche systemische Schädigung der kleinen und mittleren Gefäße. Diese und weitere chronische Erkrankungen sind dadurch gekennzeichnet, dass körpereigene Zellen absterben und – häufig durch Einlagerung weiterer Substanzen – Beläge in den Blutgefäßen verursachen, welche so die Blutzirkulation behindern. Hiervon können besonders die Nieren betroffen sein, deren Filtrationsleistung dadurch sinkt.
„Wir konnten in unserer Studie nachweisen, dass FHR1-Moleküle spezifisch an absterbende Zellen in den Blutgefäßen binden, während nah verwandte Proteine wie Faktor H oder FHR2 und FHR3 dies nicht tun“, sagt die Leiterin der Studie, Christine Skerka. Die Professorin für Immunregulation leitet am Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – eine Arbeitsgruppe, die sich mit dem komplexen Zusammenspiel von Molekülen des Immunsystems bei infektiösen und nichtinfektiösen Krankheiten befasst. „Die Bindung von FHR1 an die Zelloberfläche löst die Aktivierung des Immunproteins NLRP 3 (das Inflammasom) im Körper aus, wodurch schließlich eine ganze Entzündungskette in Gang gesetzt wird, die in einer Autoinflammation mündet“, so Skerka weiter. Die Ergebnisse der Studie decken sich mit der Beobachtung, dass ein Mangel an FHR1 vor bestimmten Krankheiten schützt. Das Protein FHR1 könnte damit ein erfolgversprechendes Ziel für Medikamente sein, um Entzündungsreaktionen im Körper zurückzufahren. Antikörper, die FHR1 inhibieren, wurden bereits erfolgreich in vitro getestet.
Zu dem Forscherteam gehörten Wissenschaftler des Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut –, der Friedrich-Schiller-Universität Jena und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Die Forschungsergebnisse veröffentlichten sie kürzlich im renommierten Fachjournal Nature Communications.
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Originalpublikation
Irmscher S, Brix SR, Zipfel SLH, Halder LD, Mutlutürk S, Wulf S, Girdauskas E, Reichenspurner H, Stahl RAK, Jungnickel B, Wiech T, Zipfel PF, Skerka C (2019) Serum FHR1 binding to necrotic-type cells activates monocytic inflammasome and marks necrotic sites in vasculopathies. Nat Commun 10, 2961. doi: 10.1038/s41467-019-10766-0.
Bildunterschrift
19-15_FHR1.jpg
Absterbende Zellen (rot): Die grüne Farbe zeigt die Stellen, an denen das Molekül FHR1 bereits andocken konnte.
Quelle: Christine Skerka, Leibniz-HKI
Das Leibniz-HKI
Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler des Leibniz-HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre biologische Aktivität untersucht und für mögliche Anwendungen als Wirkstoffe zielgerichtet modifiziert.
Das Leibniz-HKI verfügt über fünf wissenschaftliche Abteilungen, deren Leiter gleichzeitig berufene Professoren der Friedrich-Schiller-Universität Jena sind. Hinzu kommen mehrere Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut, darunter das anwendungsorientierte Biotechnikum als Schnittstelle zur Industrie. Gemeinsam mit der FSU betreibt das HKI die Jena Microbial Resource Collection, eine umfassende Sammlung von Mikroorganismen und Naturstoffen. Zurzeit arbeiten etwa 450 Personen am Leibniz-HKI, davon 150 als Doktoranden.
Das Leibniz-HKI ist Initiator und Kernpartner großer Verbundvorhaben wie der Exzellenz-Graduiertenschule Jena School for Microbial Communication, der Sonderforschungsbereiche FungiNet (Transregio) und ChemBioSys, des Zentrums für Innovationskompetenz Septomics sowie von InfectControl 2020, einem Konsortium im BMBF-Programm Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation. Das Leibniz-HKI ist Nationales Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen und Kernpartner des Exzellenzclusters Balance of the Microverse.
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Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 95 selbständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen - u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 19.100 Personen, darunter 9.900 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,9 Milliarden Euro.
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