Lösungen im Kampf gegen resistente Keime: Bund investiert in neuartiges Leibniz-Forschungszentrum in Jena
Leibniz-Zentrum für Photonik in der Infektionsforschung bringt Innovationen schneller zum Patienten und schafft 60 neue Arbeitsplätze
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert die Gründung eines neuen Leibniz-Forschungszentrums in Jena. Technologieentwickler, Mediziner und Medizintechnikhersteller bringen dort künftig lichtbasierte Technologien für eine bessere Diagnostik und Therapie von Infektionen von der Idee bis zur Anwendung am Patienten. Das Leibniz-Zentrum für Photonik in der Infektionsforschung (LPI) setzte sich im nationalen Roadmap-Prozess des BMBF als eines von elf eingereichten Großprojekten durch. Damit bescheinigt das Ministerium der europaweit einmaligen Forschungsinfrastruktur, zur Lösung gesellschaftlich relevanter Themen beizutragen. Für die Gründung des LPI wurden 150 Millionen Euro beantragt.
Infektionskrankheiten zählen zu den häufigsten Todesursachen weltweit und stellen auch in Industrienationen eine wachsende Bedrohung dar. Weil immer mehr Erreger Resistenzen gegen verfügbare Antibiotika entwickeln, könnte auch von Krankheiten, die heute gut zu behandeln sind, in naher Zukunft wieder eine tödliche Gefahr ausgehen. Angesichts der aktuellen Situation müssen schnelle Diagnoseverfahren und neue Therapien für den Kampf gegen Infektionen erforscht werden. Photonische Technologien – also Methoden und Prozesse, die Licht als Werkzeug nutzen – können diese drängenden Probleme nachhaltig lösen. Lichtbasierte Verfahren messen schnell, empfindlich, berührungslos und tragen dazu bei, besser zu verstehen, wie Mikroben uns krank machen, wie sich unser Körper wehrt und wie sich diese Prozesse beeinflussen lassen.
Bis die Fortschritte dieser Forschung beim Patienten ankommen, vergeht allerdings viel Zeit. „Bis aus einer Idee ein marktfähiges Produkt wird, dauert es im Schnitt 14 Jahre“, so Prof. Jürgen Popp, wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Photonische Technologien (Leibniz-IPHT) in Jena, das maßgeblich am neuen Zentrum für Infektionsforschung mitwirkt. „Viele Konzepte können nicht realisiert werden, da Ressourcen und Entwicklungsstrukturen nicht vorhanden oder nicht nutzeroffen zugänglich sind.“
Mit dem neuen Forschungszentrum soll sich das ändern. „Dank der umfangreichen und nachhaltigen Förderung des LPI durch den Bund können wir diese Lücken schließen“, prognostiziert Popp. „Wir tragen so dazu bei, Lösungen zügig in diagnostische Geräte und Therapieansätze zu überführen: damit sie schneller vom Labor ans Krankenbett gelangen.“ Eine solche Forschungsinfrastruktur spiele „für die Leistungsfähigkeit, Innovationskraft und internationale Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschafts- und Wirtschaftsstandorts Deutschland“ eine Schlüsselrolle, betont Bundesforschungsministerin Anja Karliczek. Herausragende Grundlagenforschung sei die Voraussetzung „für neues Wissen, technologische Durchbrüche und damit auch für unseren künftigen Wohlstand.“
Das neue Forschungszentrum entspringe einem dringenden medizinischen Bedarf, erläutert Prof. Dr. Michael Bauer, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Universitätsklinikum Jena und Sprecher des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums Sepsis und Sepsisfolgen. „Mediziner brauchen schnellere und genauere Diagnosemethoden, um frühzeitiger und gezielter zu behandeln.“ Bei schweren Infektionskrankheiten zähle vor allem eins: Zeit. „Bisherige Standard-Diagnoseverfahren liefern zwar zuverlässige Ergebnisse, doch häufig müssen Mediziner zu lang warten, etwa bis sie wissen, welches Bakterium eine Infektion auslöst und welche Medikamente dagegen wirken. Schnelle Informationen für einen zielgenauen Antibiotikaeinsatz können helfen, uns aus der Resistenz-Misere zu befreien.“
Innovative Diagnosemethoden als Ausweg aus der Resistenz-Misere
Das ab 2019 entstehende Leibniz-Zentrum für Photonik in der Infektionsforschung (LPI) hat sich zum Ziel gesetzt, neue Verfahren für die Diagnose und Therapie von Infektionen zu erforschen und zu entwickeln. Dafür bündelt es die in Jena vorhandenen Kompetenzen auf den Gebieten der Optik und Photonik sowie der Infektionsforschung. Dieser Ansatz sei „einzigartig und hervorragend geeignet, um Infektionskrankheiten früh zu diagnostizieren und rechtzeitig geeignete Therapieantworten zu finden – insbesondere bei multiresistenten Erregern“, urteilt der Wissenschaftsrat, Deutschlands wichtigstes wissenschaftspolitisches Beratungsgremium.
In dem nutzeroffenen Zentrum arbeiten zukünftig Naturwissenschaftler, Technologieentwickler, Mediziner und Medizintechnikhersteller eng zusammen. Unter einem Dach werden bereits bestehende Kooperationen zwischen dem Leibniz-IPHT, dem Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (Leibniz-HKI), dem Universitätsklinikum Jena und der Friedrich-Schiller-Universität Jena vertieft. Die Nutzerinnen und Nutzer des LPI sollen dank kurzer Wege und klarer Übergabepunkte unkonventionelle Ideen schneller umsetzen können als bisher.
„Wir müssen die Forschung intensivieren, um neuartige therapeutische Lösungen und experimentelle Therapieansätze zu erschließen und zu validieren“, betont der wissenschaftliche Direktor des Leibniz-HKI, Prof. Dr. Axel Brakhage. „Hierzu zählen die Behandlung mit neuen Kombinationen vorhandener Wirkstoffe, der Einsatz von Nanopartikeln als Wirkstoffträger, immunzellbasierte Therapien sowie neuartige Therapien, die eine Resistenzbildung seitens der Mikroorganismen vermeiden oder zumindest verzögern.“
Das neue Forschungszentrum wird für nationale und internationale Spitzenforscherinnen und -forscher wie für Anwender aus der Industrie offen sein. So sollen neue diagnostische Ansätze und zielgerichtete Therapieverfahren entstehen, welche direkt in die Anwendung und industrielle Produktion übertragen werden. Indem Fragen zur klinischen Validierung und Zertifizierung von Beginn an im Vordergrund stehen, kann das LPI die in Deutschland noch bestehenden Lücken in der Umsetzung von Forschungsergebnissen schließen und die Zeit bis zur Markteinführung drastisch verkürzen.
Unkonventionelle Ideen schneller umsetzen als bisher
Mit photonischen Technologien für die klinische Anwendung und dem translationalen Forschungsansatz könne das LPI „die Pathogendiagnostik weltweit revolutionieren“, so der Wissenschaftsrat. Davon profitiert auch der Standort Jena, der mit der Ansiedlung hochqualifizierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und neuer Firmen rechnen kann. „So wird die Sichtbarkeit und Attraktivität des Forschungsstandorts national und international erheblich gesteigert, insbesondere für den wissenschaftlichen Nachwuchs“, betont Prof. Dr. Walter Rosenthal, Präsident der Friedrich-Schiller-Universität.
Das Großprojekt beantragten das Leibniz-Institut für Photonische Technologien, das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut, das Universitätsklinikum Jena und die Friedrich-Schiller-Universität Jena unter der Schirmherrschaft der Leibniz-Gemeinschaft. Das Forschungsvorhaben wird in einem Neubau auf dem Gelände des Universitätsklinikums Jena in drei Phasen realisiert. Nach einer Vorbereitungsphase folgt eine vierjährige Realisierungsphase. In der anschließenden Betriebsphase steht das Zentrum den Nutzern für Forschungsarbeiten zur Verfügung. Eine Verstetigung wird angestrebt.
Bildunterschrift
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Moderne bildgebende Verfahren und eine computergestützte statistische Auswertung liefern wichtige Hinweise über Ort und Umfang einer Infektion. Eine frühzeitige und exakte Diagnose ist entscheidend für die Wahl geeigneter therapeutischer Maßnahmen.
Quelle: Anna Schroll/Leibniz-HKI
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Das geplante Gebäude des Leibniz-Zentrums für Photonik in der Infektionsforschung bietet Wissenschaftlern in Zukunft beste Voraussetzungen für innovative Forschung.
Quelle: Leibniz-IPHT
Das Leibniz-HKI
Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler des Leibniz-HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre biologische Aktivität untersucht und für mögliche Anwendungen als Wirkstoffe zielgerichtet modifiziert.
Das Leibniz-HKI verfügt über fünf wissenschaftliche Abteilungen, deren Leiter gleichzeitig berufene Professoren der Friedrich-Schiller-Universität Jena sind. Hinzu kommen mehrere Forschungs- und Nachwuchsgruppen sowie Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut, darunter das anwendungsorientierte Biotechnikum als Schnittstelle zur Industrie. Gemeinsam mit der FSU betreibt das HKI die Jena Microbial Resource Collection, eine umfassende Sammlung von Mikroorganismen und Naturstoffen. Zurzeit arbeiten etwa 450 Personen am Leibniz-HKI, davon 150 als Doktoranden.
Das Leibniz-HKI ist Initiator und Kernpartner großer Verbundvorhaben wie der Exzellenz-Graduiertenschule Jena School for Microbial Communication, der Sonderforschungsbereiche FungiNet (Transregio) und ChemBioSys, des Zentrums für Innovationskompetenz Septomics sowie von InfectControl 2020, einem Konsortium im BMBF-Programm Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation. Das Leibniz-HKI ist Nationales Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen und Kernpartner des Exzellenzclusters Balance of the Microverse.
Leibniz-Institut für Photonische Technologien
Im Mittelpunkt der Forschung am Leibniz-IPHT steht das Licht. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen innovative photonische Verfahren und Werkzeuge für die Anwendung in der klinischen Diagnostik, etwa der Infektions- und Krebsdiagnostik, der Pharmazie und Prozesskontrolle sowie in der Lebensmittel- und Umweltsicherheit. Ein wesentliches Ziel ist es, die Translation zu beschleunigen: die Umsetzung von Forschungsergebnissen in die Praxis – from Ideas to Instruments. Für seine technologischen Lösungen für eine verbesserte Diagnostik von Krebs und Infektionskrankheiten wurde das Leibniz-IPHT vielfach ausgezeichnet, zuletzt etwa mit dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vergebenen Ralf-Dahrendorf-Preis für den Europäischen Forschungsraum, dem Thüringer Forschungspreis 2019, dem Kaiser- Friedrich-Forschungspreis 2018 sowie dem 3. Preis des Berthold-Leibinger-Innovationspreises 2018.
Universitätsklinikum Jena
Das Universitätsklinikum Jena (UKJ) ist das einzige Universitätsklinikum Thüringens und mit mehr als 5.600 Mitarbeitern der größte Arbeitgeber der Region. An der Medizinischen Fakultät werden 2600 Medizin-, Zahnmedizin- und Masterstudierende ausgebildet, Wissenschaftler aus über 50 Nationen forschen hier an der Weiterentwicklung der Medizin. Die Schwerpunkte liegen dabei auf der Sepsis- und Infektionsforschung, dem Altern und alternsassoziierten Erkrankungen sowie der Medizinischen Optik und Photonik. In den Kliniken und Polikliniken des UKJ werden jährlich mehr als 300.000 Patienten stationär und ambulant versorgt.
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Die Friedrich-Schiller-Universität Jena ist Thüringens einzige Volluniversität. 1558 gegründet verfügt sie heute über ein breites Angebot von über 200 Studienmöglichkeiten, die von Archäologie bis Zahnmedizin reichen. Rund 18.000 Studierende, darunter über 2.500 internationale, sind an der Universität Jena eingeschrieben, die ihrer Hochschule in zahlreichen Rankings und Studien immer wieder beste Studienbedingungen bescheinigen. Die Akademie für Lehrentwicklung trägt zur kontinuierlichen Weiterentwicklung der Lehre und Förderung der Lehrqualität bei.
Die Universität Jena zeichnet sich durch eine hohe Forschungsdynamik aus. Traditionell pflegt sie einen interdisziplinären angelegten Arbeitsstil sowie eine intensiven Vernetzung mit außeruniversitären Forschungsinstituten und der Wirtschaft. Die Forschung ist fokussiert auf „Light – Life – Liberty“. Insbesondere der wissenschaftliche Nachwuchs wird an der Universität Jena besonders gefördert. Mit ihrer bundesweit als beispielhaft anerkannten Graduierten-Akademie setzt sie auf optimale Qualifikation und höchste Qualitätsstandards. Mehr als 130 Kooperationsvereinbarungen mit Hochschulen in aller Welt unterstreichen die internationale Ausrichtung der Friedrich-Schiller-Universität Jena, die sich mit ihren mehr als 40 Sammlungen und Museen auch als Kulturwahrer einen Namen macht.
Die Leibniz-Gemeinschaft
Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 95 selbständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen – u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 19.100 Personen, darunter 9.900 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,9 Milliarden Euro.
Ansprechpartner
Dr. Michael Ramm
Wissenschaftliche Organisation
Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie e. V. – Hans-Knöll-Institut (HKI) –
Adolf-Reichwein-Straße 23
07745 Jena
+49 3641 5321011
+49 176 54909562