Multiresistente Erreger: Infektionsexperten rufen Politik zum Handeln auf
Infektionskrankheiten sind weltweit auf dem Vormarsch. Zudem werden immer mehr Erreger gegenüber Antibiotika unempfindlich und gefährden damit in hohem Maße die Gesundheit vieler Menschen. Es droht eine „post-antibiotische Ära“, in der vermeintlich harmlose Krankheiten tödlich enden können. Angesichts der aktuellen Situation ruft ein Netzwerk führender wissenschaftlicher Einrichtungen unter der Führung der Leibniz-Gemeinschaft die neue Bundesregierung auf, den Kampf gegen multiresistente Krankheitserreger stärker zu unterstützen. Die Erforschung neuer Therapien und Diagnoseverfahren erfordert eine verbesserte interdisziplinäre Zusammenarbeit in den Kliniken in Form von öffentlich-privaten Partnerschaften. Forschungsergebnisse müssen schneller als bisher den Patienten zu Gute kommen.
Aufgrund der sich immer weiter ausbreitenden multiresistenten Erreger stehen Intensivmediziner vor einem besorgniserregenden Dilemma: „Schwere Infektionen, die zu einer lebensbedrohlichen Sepsis führen können, müssen wir viel zu oft ‚blind‘ mit Breitspektrumantibiotika behandeln, da wir zunächst weder den Erreger noch eventuell vorhandene Resistenzen bestimmen können. Gängige Laborverfahren benötigen bis zu 72 Stunden, um uns die für die therapeutische Entscheidung dringend benötigten Informationen zu liefern. Daher schießen wir unter Umständen mit Kanonen auf Spatzen. Ein Teufelskreis, der das Entstehen neuer Resistenzen begünstigt“, erläutert Prof. Michael Bauer, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Uniklinikum Jena.
Die Erforschung und Entwicklung schneller Diagnoseverfahren muss intensiv vorangetrieben werden, so eine zentrale Forderung der Unterzeichner des Aufrufs. Einen möglichen Ansatz bieten photonische Technologien – Verfahren, die Licht als Werkzeug nutzen. Sie haben das Potential, die Infektionsdiagnostik zu revolutionieren. Schnell und direkt, ohne vorherige, zeitaufwendige Kultivierung der Proben, lassen sich Erreger und deren Resistenzen innerhalb von zwei bis drei Stunden bestimmen.
Zugleich müssen neuartige therapeutische Lösungen und experimentelle Therapieansätze erforscht und klinisch getestet werden. Hierzu zählen unter anderem die Behandlung mit neuen Kombinationen vorhandener Wirkstoffe, der Einsatz von Nanopartikeln als Wirkstoffträger, Immunzell-basierte Therapien oder völlig neuartige Therapien, die eine Resistenzbildung seitens der Mikroorganismen vermeiden oder zumindest verzögern.
Zwar gibt es bereits jetzt zahlreiche innovative Lösungsansätze, aber es vergehen im Durchschnitt 14 Jahre für die Weiterentwicklung hin zu einem marktfähigen Produkt. Viele Ideen können nicht realisiert werden, da Ressourcen und Entwicklungsstrukturen nicht vorhanden bzw. nicht nutzeroffen zugänglich sind. Damit kann das in Deutschland vorhandene Innovationspotential nicht vollständig ausgeschöpft werden. Patienten profitieren nur mit großer Verzögerung von Forschungsergebnissen.
„Diesen Zustand müssen wir dringend ändern“, so Prof. Jürgen Popp, Wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Photonische Technologien. Er fordert: „Mit Unterstützung der Politik müssen Kompetenzen und Erfahrungen aus unterschiedlichen Bereichen strukturell zusammengeführt und gemeinschaftlich konkrete Strategien zur Bekämpfung von Infektionen entwickelt werden.“
In ihrem Aufruf empfehlen die Unterzeichner der neuen Bundesregierung interdisziplinäre Forschungsinfrastrukturen zu schaffen, in denen neue Lösungen im Kampf gegen multiresistente Erreger erforscht und zur Marktreife weiterentwickelt werden. Hierfür sind neben einer engen Zusammenarbeit von Naturwissenschaftlern, Technologieentwicklern, Medizinern und Medizintechnikherstellern, standardisierte Prozesse sowie innovative Konzepte des Forschungsmanagements notwendig. Fragen zur klinischen Validierung und Zertifizierung müssen von Beginn an mit im Vordergrund stehen. Vorhandene Lücken in der Innovationskette – von der Grundlagenforschung bis zur Markteinführung – sollen strukturell überwunden werden, um die Entwicklungszeit auf wenige Jahre zu verkürzen.
Der Aufruf wurde in Berlin anlässlich der World Antibiotic Awareness Week der Weltgesundheitsorganisation der Öffentlichkeit vorgestellt. Zu den Unterzeichnern gehören führende Vertreter aus folgenden Einrichtungen und Verbünden: Leibniz-Gemeinschaft, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Universitätsklinikum Jena, Leibniz-Institut für Photonische Technologien Jena, Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut, Forschungszentrum Borstel – Leibniz-Zentrum für Medizin und Biowissenschaften, Leibniz-Forschungsverbünde „Leibniz Gesundheitstechnologien“ und „INFECTIONS‘21“, Leibniz-Forschungscampus „InfectoOptics“ sowie Partner der BMBF-geförderten Initiativen „InfectoGnostics Forschungscampus Jena“ und „InfectControl 2020“.
Informationen zum HKI
Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler des HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre biologische Aktivität untersucht und für mögliche Anwendungen als Wirkstoffe zielgerichtet modifiziert.
Das HKI verfügt über fünf wissenschaftliche Abteilungen, deren Leiter gleichzeitig berufene Professoren der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) sind. Hinzu kommen mehrere Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut, darunter das anwendungsorientierte Biotechnikum als Schnittstelle zur Industrie. Gemeinsam mit der FSU betreibt das HKI die Jena Microbial Resource Collection, eine umfassende Sammlung von Mikroorganismen und Naturstoffen. Zurzeit arbeiten etwa 400 Personen am HKI, davon 130 als Doktoranden.
Das HKI ist Initiator und Kernpartner großer Verbundvorhaben wie der Exzellenz-Graduiertenschule Jena School for Microbial Communication, der Sonderforschungsbereiche FungiNet (Transregio) und ChemBioSys, des Zentrums für Innovationskompetenz Septomics sowie von InfectControl 2020, einem Konsortium im BMBF-Programm Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation. Seit 2014 ist das HKI Nationales Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen.
Informationen zur Leibniz-Gemeinschaft
Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 91 selbständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an.
Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen ‑ u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 18.600 Personen, darunter 9.500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,7 Milliarden Euro.
Ansprechpartner
Dr. Michael Ramm
Wissenschaftliche Organisation
Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie e. V. – Hans-Knöll-Institut (HKI) –
Adolf-Reichwein-Straße 23
07745 Jena
Telefon: +49 3641 5321011
Mobil: +49 176 54909562
E-Mail: presse@leibniz-hki.de
Klicken Sie bitte hier, wenn Sie zukünftig keine Pressemitteilungen des HKI mehr empfangen möchten.