Neu entdecktes Pilzgift ist „Leibniz-Wirkstoff des Jahres 2017“
Wissenschaftler aus Jena und Borstel erhalten den Preis „Leibniz-Wirkstoff des Jahres 2017“ für die Entdeckung eines gewebeschädigenden Pilztoxins
Von Monika Weiß
Der Leibniz-Forschungsverbund „Wirkstoffe und Biotechnologie“ zeichnete Dr. Duncan Wilson, Dr. Selene Mogavero und Prof. Bernhard Hube vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – in Jena sowie Prof. Thomas Gutsmann vom Forschungszentrum Borstel - Leibniz-Zentrum für Medizin und Biowissenschaften für ihre bedeutende Forschung auf dem Gebiet von bioaktiven Substanzen im Rahmen der Leibniz-Wirkstofftage in Freising aus. Der Preis geht bereits zum dritten Mal an Forscher des HKI.
In internationaler Zusammenarbeit mit britischen und US-amerikanischen Kollegen identifizierten die Forscher ein Gift des krankheitserregenden Hefepilzes Candida albicans. Das Toxin durchlöchert die Membran der Wirtszelle und führt so zu ihrer Auflösung, auch Lyse genannt. Candidalysin – so der Name des Peptids – trägt somit entscheidend zur krankmachenden Wirkung des Hefepilzes bei.
Die Entdeckung des Gifts ist aus zweierlei Hinsicht auszeichnungswürdig:
Zum einen gelang es Wissenschaftlern jahrzehntelang nicht, Moleküle nachzuweisen, die für die Gewebeschädigung und den Verlauf einer Pilzinfektion verantwortlich sind. Gerade bei Candida albicans sind diese Prozesse interessant, da der Pilz in unschädlicher Form auf Schleimhäuten vorkommt. Bei vielen Frauen, sehr jungen oder alten Menschen oder auch bei AIDS-Erkrankten kann er jedoch oberflächliche Infektionen hervorrufen. Bei schwer immungeschwächten Patienten löst Candida albicans sogar lebensgefährliche Infektionen aus. Mit der Entdeckung des Candidalysins machten die Wissenschaftler nun einen entscheidenden Schritt, um die Krankheitsmechanismen infektiöser Pilze besser zu verstehen und künftig möglicherweise Therapien ableiten zu können.
Der Leibniz-Forschungsverbund würdigt damit auch die Beharrlichkeit des internationalen Wissenschaftlerteams, die bei solch einer detektivischen Kleinarbeit vonnöten war. Denn der Grund, warum die Mikrobiologen Candidalysin erst nach Jahrzehnten intensiver Suche entdeckten, ist ein Trick des Pilzerregers: Candida albicans bildet zunächst ein größeres Molekül, ein Polyprotein. Erst ein Enzym schneidet es in mehrere Teile, unter denen dann das krankmachende Gift ist. Aus einer ungefährlichen Vorstufe wird auf diese Weise erst dann eine schädliche Substanz, wenn der Erreger sie benötigt.
Internationale Gemeinschaftsarbeit
Forscher vom King’s College in London, die am Pilzbefall im Mundraum arbeiten, gaben den Impuls für die Analysen am HKI: Das Team um HKI-Abteilungsleiter Prof. Bernhard Hube, der gleichzeitig einen Lehrstuhl an der Friedrich-Schiller-Universität Jena innehat, untersuchte die molekulare Ebene des Aufeinandertreffens zwischen Pilz und Wirt und lieferte als erstes den Beweis, dass Candidalysin eine Schädigung in der Wirtszelle verursacht.
Prof. Thomas Gutsmann, Biophysiker am Forschungszentrum Borstel - Leibniz-Zentrum für Medizin und Biowissenschaften, und seine Kollegen erforschten schließlich die Wirkung des Giftes auf die Zellmembran. Mit zusätzlichen Beiträgen aus Großbritannien und den USA veröffentlichte das Forscherteam die Erkenntnisse im Fachjournal „Nature“.
Weitere Forschung
Im Kampf gegen gefährliche Pilzinfektionen ist die Entdeckung des Toxins nur der Anfang: Forscherteams prüfen nun die Auseinandersetzung zwischen Gift und Immunsystem auf molekularer Ebene und welche Aufgaben andere genetische Bestandteile des Pilzes bei einer Infektion übernehmen. Interessant ist darüber hinaus, ob Candidalysin auch auf Bakterien wirkt oder es einen Austausch zwischen dem Gift und Bakterien in gemeinsamen Lebensräumen wie dem menschlichen Darm gibt.
Auszeichnung „Leibniz-Wirkstoff des Jahres“
Der Leibniz-Forschungsverbund „Wirkstoffe und Biotechnologie“, gefördert durch die Leibniz-Gemeinschaft, verleiht jährlich anlässlich der Leibniz-Wirkstofftage einen Preis für wichtige Forschungsaktivitäten auf dem Gebiet von bioaktiven Substanzen. Die Tagung fand in diesem Jahr vom 10.-11. April 2017 mit internationaler Beteiligung in Freising bei München statt. Preisträger erhalten eine Medaille, ein Zertifikat und 2000 Euro Preisgeld.
Informationen zum HKI
Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler des HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre biologische Aktivität untersucht und für mögliche Anwendungen als Wirkstoffe zielgerichtet modifiziert.
Das HKI verfügt über fünf wissenschaftliche Abteilungen, deren Leiter gleichzeitig berufene Professoren der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) sind. Hinzu kommen mehrere Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut, darunter das anwendungsorientierte Biotechnikum als Schnittstelle zur Industrie. Gemeinsam mit der FSU betreibt das HKI die Jena Microbial Resource Collection, eine umfassende Sammlung von Mikroorganismen und Naturstoffen. Zurzeit arbeiten etwa 400 Personen am HKI, davon 130 als Doktoranden.
Das HKI ist Initiator und Kernpartner großer Verbundvorhaben wie der Exzellenz-Graduiertenschule Jena School for Microbial Communication, der Sonderforschungsbereiche FungiNet (Transregio) und ChemBioSys, des Zentrums für Innovationskompetenz Septomics sowie von InfectControl 2020, einem Konsortium im BMBF-Programm Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation. Seit 2014 ist das HKI Nationales Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen.
Informationen zum FZB
Das Forschungszentrum Borstel ist das Lungenforschungszentrum der Leibniz-Gemeinschaft. Im Fokus stehen chronisch-entzündliche Lungenerkrankungen wie Asthma und Allergien, chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) sowie Tuberkulose und andere infektionsbedingte Entzündungen der Lunge. Das übergeordnete Ziel der interdisziplinären Forschungsaktivitäten ist, die Ursachen und Mechanismen chronisch-entzündlicher und degenerativer Erkrankungen der Lunge aufzuklären, um daraus neue innovative Konzepte zu deren Diagnostik, Prävention und Therapie abzuleiten. Am Forschungszentrum Borstel und an der Medizinischen Klinik Borstel arbeiten zurzeit über 500 Personen aus 18 Nationen.
Das FZB ist Gründungsmitglied des „Leibniz Center Infection“, Herzstück des Exzellenzclusters „Inflammation at Interfaces“ und Partner in den Deutschen Gesundheitszentren für Lungen- und Infektionsforschung (DZL und DZIF). Das Forschungszentrum Borstel ist Partner in den Leibniz Forschungsverbünden Nanosicherheit, Wirkstoffe und Biotechnologie und Gesundheitstechnologien und im Leibniz-WissenschaftsCampus EvoLUNG. Zudem koordiniert das FZB den Leibniz-Forschungsverbund INFECTIONS´21 – ein Verbundprojekt zur Kontrolle, Prävention und Bekämpfung von Infektionskrankheiten im 21. Jahrhundert, an dem 14 Leibniz-Institute und 3 externe Partner beteiligt sind. Am FZB ist das Nationale Referenzzentrum für Mykobakterien und das Supranationale Referenzlabor für Mykobakterien der WHO beheimatet.
Informationen zur Leibniz-Gemeinschaft
Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 91 selbständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an.
Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen ‑ u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 18.600 Personen, darunter 9.500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,7 Milliarden Euro.
Ansprechpartner
Dr. Michael Ramm
Wissenschaftliche Organisation
Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie e. V. – Hans-Knöll-Institut (HKI) –
Adolf-Reichwein-Straße 23
07745 Jena
Telefon: +49 3641 5321011
Mobil: +49 176 54909562
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