Neuer Tuberkulose-Wirkstoff geht in die klinische Erprobung
Wissenschaftler zweier Forschungsverbünde und Unternehmen schließen sich hierfür zusammen
Das erste in Deutschland entwickelte Antibiotikum gegen Tuberkulose wird jetzt klinisch erprobt. Die neu entwickelte Prüfsubstanz mit der Bezeichnung BTZ043 wirkt auch gegen multiresistente Erreger, die eine Behandlung weltweit zunehmend erschweren. Das Projekt wird von Wissenschaftlern des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – (Leibniz-HKI) in Jena und der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München geleitet. Das Konsortium InfectControl 2020 und das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) unterstützen einen Großteil der Studien.
In den letzten Jahrzehnten hat sich das Problem der Antibiotikaresistenz weltweit dramatisch verschärft. Wir stehen heute vor der Herausforderung, dass es immer mehr resistente Keime gibt, gegen die nur noch wenige Antibiotika helfen. Im Falle der Tuberkulose ist die Situation besonders schwierig, denn für ihre Behandlung müssen stets mehrere Antibiotika gleichzeitig verabreicht werden. Hinzu kommt, dass die Tuberkuloseerreger immer öfter gegen diese Antibiotika resistent sind. Um neue Therapieformen zu entwickeln, werden daher dringend mehrere neue Wirkstoffe benötigt, idealerweise mit unterschiedlichen Wirkmechanismen.
Wirkstoff trifft gezielt neuen Angriffspunkt am Erreger
BTZ043 gehört zu einer neuen Antibiotikaklasse, den Benzothiazinonen. Als erster Vertreter dieser Substanzfamilie erlangte BTZ043 für seine Wirkung gegen den Tuberkuloseerreger weltweiten Patentschutz. „Der Wirkstoff bindet irreversibel an ein Enzym, das die Mykobakterien – die Erreger der Tuberkulose – zum Aufbau der Bakterienzellwand benötigen“, erklärt Dr. Florian Kloß, Leiter der InfectControl 2020-geförderten Transfergruppe Antiinfektiva am Leibniz-HKI. „Dieses Enzym kann dadurch nicht mehr arbeiten, in den Zellwänden der Mykobakterien entstehen Löcher und sie laufen aus“, ergänzt DZIF-Wissenschaftler Prof. Michael Hoelscher, Direktor des Tropeninstituts der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dieser Angriff auf die Tuberkuloseerreger ist so gezielt, dass BTZ043 nur die Erreger, nicht aber andere für uns wichtige Bakterien bekämpft.
Klinische Studie testet Verträglichkeit
Nach Genehmigung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und der Ethikkommission der Bayerischen Landesärztekammer können nun die ersten Probanden für die klinische Erprobung von BTZ043 rekrutiert werden. Unter Leitung von Prof. Hoelscher werden bis zu 40 freiwillige Teilnehmer das Antibiotikum am Studienzentrum der Firma Nuvisan in Neu-Ulm erhalten. „Wir wollen sicherstellen, dass das Medikament im Körper gut aufgenommen und vertragen wird. Hierzu wird einmalig eine sehr geringe Dosis verabreicht, die dann bei den nächsten Probanden Schritt für Schritt erhöht wird“, erklärt Hoelscher das Vorgehen. Ziel der Studie ist es, die Dosierung zu erreichen, die im Tiermodell eine gute Wirksamkeit gezeigt hat. Diese wirksame Dosis liegt weit unter der Höchstmenge, die an Tieren getestet und noch gut toleriert wurde.
Gemeinsam gegen Infektionen
Ein Team aus Wissenschaftlern und Unternehmern ist an der Entwicklung des neuen Tuberkulosemedikaments beteiligt. Der Wirkstoff BTZ043 wurde am Leibniz-HKI in Jena entdeckt. Seit 2014 kooperieren das Leibniz-HKI und das Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München unter anderem im Konsortium InfectControl 2020 und im DZIF gemeinsam zur Weiterentwicklung des Medikaments. Das Leibniz-HKI ist für die Entwicklung der analytischen Nachweismethoden und die präzise Untersuchung der Aufnahme, Verteilung, Verstoffwechselung und Ausscheidung im Tierversuch und beim Menschen zuständig. Als Sponsor ist das Klinikum der LMU für die präklinische und klinische Entwicklung sowie die Qualität und Sicherheit des Arzneimittels verantwortlich. Die Herstellung der hochwirksamen Substanz erfolgt bei einem mittelständischen pharmazeutischen Unternehmen, der Hapila GmbH in Gera. Das Unternehmen entwickelt darüber hinaus das Herstellungsverfahren nach allen einschlägigen Vorgaben des Arzneimittelrechts sowie international geltenden Vorschriften und wird hierfür durch den Freistaat Thüringen gefördert. Die mehrere Millionen Euro teure Medikamentenentwicklung ist nur durch gemeinsame Finanzierung von öffentlicher und privater Hand möglich: Insbesondere die beiden Forschungsverbünde InfectControl 2020 und DZIF sind an der Wirkstoffentwicklung beteiligt. Beide sind vom Bundesministerium für Bildung und Forschung initiierte Programme zur Förderung der Antibiotika- und Infektionsforschung in Deutschland.
Prof. Axel Brakhage, Direktor des Leibniz-HKI und Lehrstuhlinhaber an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, begleitet die Entwicklung des Wirkstoffes seit seiner Entdeckung: „Es bedarf immenser finanzieller und organisatorischer Anstrengungen, wenn öffentlich finanzierte Institutionen in die Medikamentenentwicklung einsteigen. Die bedrohliche Ausbreitung multiresistenter Erreger macht es jedoch absolut erforderlich, der Industrie auf diesem wenig lukrativen Weg entgegenzugehen. Dank der in InfectControl 2020 geförderten Transfergruppe und unserer Partner vom DZIF am Klinikum der Universität München haben wir bereits viele Erfahrungen gesammelt, die wir auch auf künftige Entwicklungsprojekte übertragen können“, so Brakhage.
Über InfectControl 2020
Das BTZ-Projekt ist Teil des deutschlandweit agierenden Konsortiums InfectControl 2020. In diesem Forschungsverbund haben sich Wissenschaft und Wirtschaft zusammengeschlossen, um Infektionskrankheiten langfristig zu vermeiden, schneller zu erkennen und konsequent zu bekämpfen. InfectControl 2020 wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.
Bildunterschrift
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Ein Strukturmodell des Tuberkulose-Wirkstoffs BTZ043
Quelle: Florian Kloß/HKI
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BTZ043 blockiert ein Enzym, das am Aufbau der Zellwand beim Tuberkuloseerreger Mycobacterium tuberculosis beteiligt ist. Der Zellinhalt läuft folglich durch schadhafte Stellen in der Zellwand aus. Rechts eine Vergleichsaufnahme ohne Behandlung mit BTZ043
Quelle: Andreas Wiesner/DZIF
Informationen zum HKI
Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler des HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre biologische Aktivität untersucht und für mögliche Anwendungen als Wirkstoffe zielgerichtet modifiziert.
Das HKI verfügt über fünf wissenschaftliche Abteilungen, deren Leiter gleichzeitig berufene Professoren der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) sind. Hinzu kommen mehrere Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut, darunter das anwendungsorientierte Biotechnikum als Schnittstelle zur Industrie. Gemeinsam mit der FSU betreibt das HKI die Jena Microbial Resource Collection, eine umfassende Sammlung von Mikroorganismen und Naturstoffen. Zurzeit arbeiten etwa 430 Personen am HKI, davon 140 als Doktoranden.
Das HKI ist Initiator und Kernpartner großer Verbundvorhaben wie der Exzellenz-Graduiertenschule Jena School for Microbial Communication, der Sonderforschungsbereiche FungiNet (Transregio) und ChemBioSys, des Zentrums für Innovationskompetenz Septomics sowie von InfectControl 2020, einem Konsortium im BMBF-Programm Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation. Seit 2014 ist das HKI Nationales Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen.
Ansprechpartner
InfectControl 2020
Dr. Hanna Heidel-Fischer
+49 3641 532 1549
heidel-fischer@infectcontrol.de
www.infectcontrol.de
Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut –
Dr. Michael Ramm
Wissenschaftliche Organisation
Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie e. V. – Hans-Knöll-Institut (HKI) –
Adolf-Reichwein-Straße 23
07745 Jena
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