Wenn Verwandte von Krankheitserregern Gutes tun
Wasserstoff und Naturstoffe werden von mehr Bakterien produziert als bisher bekannt
Jena. Bestimmte Bakterien produzieren Wasserstoff und Naturstoffe. Diese Funktion ist sowohl für die Umwelt als auch für die Medizin und damit den Menschen wichtig. In Jena hat ein Forschungsteam nun die Fähigkeit zur Wasserstoff- und Naturstoffproduktion in einer Gruppe von Bakterien nachgewiesen, die bis dahin eher als Krankheitserreger bekannt waren. Zudem fanden die Wissenschaftler heraus, dass diese Bakterien in Gemeinschaft mit einem methanproduzierenden Bakterium Milchsäure in Methan umwandeln.
Epsilonproteobakterien sind für ihre Pathogenität bekannt: Sie können etwa Magengeschwüre verursachen oder Lebensmittelvergiftungen auslösen. Doch nicht alle Bakterien dieser Gruppe haben eine krankmachende Wirkung: Harmlose Vertreter der Epsilonproteobakterien sind die an der Friedrich-Schiller-Universität (FSU) Jena erforschten Sulfurospirillen. An ihnen hat ein Jenaer Forschungsteam zwei besondere Stoffwechselleistungen entdeckt und erstmals beschrieben: die Fähigkeit, sowohl Wasserstoff als auch Naturstoffe zu produzieren. Letztere dienen unter Umständen als Medikamente. Die Ergebnisse der langjährigen Forschung, die von der Exzellenz-Graduiertenschule „Jena School for Microbial Communication“ (JSMC) und der DFG-Forschergruppe FOR 1530 –‘Anaerobic Biological Dehalogenation: Organisms, Biochemistry, and (Eco-)physiology’ gefördert wurde, sind jetzt in den renommierten Fachzeitschriften Nature Communications und ACS Chemical Biology erschienen.
Einblicke in die Maschinerie des Stoffwechselweges
Die Wasserstoffproduktion wurde von JSMC-Alumnus Dr. Stefan Kruse im Labor der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Gabriele Diekert an der FSU Jena nachgewiesen. Um tiefere Einblicke in den Stoffwechselweg und die beteiligten Enzyme zu erlangen, verglichen die Forscher die Gesamtheit der Proteine des Bakteriums in gärenden Zellen mit der in atmenden Zellen. Prof. Dr. Lorenz Adrian, Arbeitsgruppenleiter am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig, unterstütze das Jenaer Forschungsteam dabei. Zusammen mit der Mikrobiologin Diekert untersuchten sie seit 2011 die Transformation halogenierter, oft giftiger Verbindungen etwa durch Sulfurospirillen. Dr. Tobias Goris, Wissenschaftler und Koordinator in der Forschergruppe FOR 1530, stellte nach Genomuntersuchungen an Sulfurospirillen die ursprüngliche These zur Wasserstoffproduktion auf. „Zu Beginn hatten wir nur sehr unsichere Hinweise auf Wasserstoff- und Naturstoffproduktion dieser Bakterien. Wir haben die Sequenz einer Hydrogenase – das sind Enzyme, die Wasserstoff spalten oder herstellen können – im Genom von Sulfurospirillum gefunden. Die gefundene Hydrogenase ähnelt entfernt anderen Hydrogenasen, die Wasserstoff produzieren. Daher wollten wir die für die Wasserstoffproduktion verantwortlichen Enzyme eindeutig nachweisen und wurden mit den Ergebnissen der vergleichenden Proteomik in Leipzig und den biochemischen Arbeiten von Stefan Kruse belohnt: Wir konnten einen großen, Wasserstoff produzierenden Komplex nachweisen“, sagt Goris.
Ökologische Interaktionen sichtbar gemacht
Die Wasserstoffproduktion von Sulfurospirillen kann weitreichende Auswirkungen auf ökologische Fragestellungen haben: Da Wasserstoff in mikrobiellen Gemeinschaften als wertvoller Nährstoff gilt, können Sulfurospirillen andere Bakterien „ernähren“. Daher hat das Jenaer Team Sulfurospirillum multivorans in Kombination mit Methanococcus voltae kultiviert. Letzteres ist für die Methanproduktion aus Wasserstoff als Energiequelle bekannt. Die Interaktion beider Organismen führte tatsächlich zur Produktion von Methan aus Milchsäure und außerdem zu einer biofilmartigen Aggregatbildung, die am Elektronenmikroskopischen Zentrum des Jenaer Universitätsklinikums unter Mitwirkung von PD Dr. Martin Westermann untersucht wurde. Die elektronenmikroskopischen Aufnahmen zeigen ein dichtes Netzwerk an Zellen. Dadurch ist ein enger Kontakt zwischen den Organismen möglich, der möglicherweise einen verbesserten Wasserstoffaustausch zur Folge hat.
Die Wissenschaftler vom Institut für Mikrobiologie der FSU erforschen weiterhin die Interaktion von Sulfurospirillen mit anderen Bakterien. Dabei liegt der Fokus auf den Abbau von Schadstoffen in diesen mikrobiellen Gemeinschaften.
Genomuntersuchungen als Grundlage
Genomuntersuchungen waren ebenfalls der Anlass, die Produktion eines Naturstoffes durch Sulfurospirillum barnesii gemeinsam mit der Arbeitsgruppe von Dr. Christine Beemelmanns am Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie zu erforschen. Dort führten Maja Rischer und weitere Wissenschaftler den aufwendigen chemischen Nachweis durch. Das komplexe Molekül Barnesin, nach dem Bakterium S. barnesii genannt, hat eine ähnliche Wirkungsweise wie bereits in der Krebsbehandlung eingesetzte Proteasehemmer.
„An beiden Arbeiten lässt sich verfolgen, wie wichtig es ist, anfänglichen Untersuchungen am Genom von Bakterien biochemische Experimente im Labor folgen zu lassen“, ist Kruse überzeugt.
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Originalpublikation
Kruse S, Goris T, Westermann M, Adrian L, Diekert G (2018) Hydrogen production by Sulfurospirillum species enables syntrophic interactions of Epsilonproteobacteria, Nature Communications 9, Article Number 4872, DOI: 10.1038/s41467-018-07342-3.
Rischer M, Raguž L, Guo H, Keiff F, Diekert G, Goris T, Beemelmanns C (2018) Biosynthesis, Synthesis, and Activities of Barnesin A, a NRPS-PKS Hybrid Produced by an Anaerobic Epsilonproteobacterium, ACS Chemical Biology 13(8): 1990-1995, DOI: 10.1021/acschembio.8b00445
Das Leibniz-HKI
Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler des Leibniz-HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre biologische Aktivität untersucht und für mögliche Anwendungen als Wirkstoffe zielgerichtet modifiziert.
Das Leibniz-HKI verfügt über fünf wissenschaftliche Abteilungen, deren Leiter gleichzeitig berufene Professoren der Friedrich-Schiller-Universität Jena sind. Hinzu kommen mehrere Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut, darunter das anwendungsorientierte Biotechnikum als Schnittstelle zur Industrie. Gemeinsam mit der FSU betreibt das HKI die Jena Microbial Resource Collection, eine umfassende Sammlung von Mikroorganismen und Naturstoffen. Zurzeit arbeiten etwa 430 Personen am Leibniz-HKI, davon 140 als Doktoranden.
Das Leibniz-HKI ist Initiator und Kernpartner großer Verbundvorhaben wie der Exzellenz-Graduiertenschule Jena School for Microbial Communication, der Sonderforschungsbereiche FungiNet (Transregio) und ChemBioSys, des Zentrums für Innovationskompetenz Septomics sowie von InfectControl 2020, einem Konsortium im BMBF-Programm Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation. Das Leibniz-HKI ist Nationales Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen und Kernpartner des Exzellenzclusters Balance of the Microverse.
Die Leibniz-Gemeinschaft
Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 93 selbständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen - u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 19.100 Personen, darunter 9.900 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,9 Milliarden Euro.
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