Zur falschen Zeit am falschen Ort
Wie der Darmpilz Candida albicans unser Immunsystem prägt
Jena. Mitglieder der Exzellenzcluster „Balance of the Microverse“ und „Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen“ haben erstmals einen Mechanismus entschlüsselt, wie spezifische Mikrobiome Entzündungsreaktionen in der Lunge verstärken.
Die Zusammensetzung der Mikroorganismen, die in und auf unserem Körper leben – das Mikrobiom – hat enormen Einfluss auf die menschliche Gesundheit. Noch lässt sich dieser nicht gezielt therapeutisch nutzen, da die zugrundeliegenden Mechanismen weitgehend unbekannt sind. An der Aufklärung dieser Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Mikrobiom arbeiten verschiedene Forschungsgruppen in den Exzellenzclustern „Balance of the Microverse“ in Jena und „Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen“ in Kiel zusammen. Ein Team aus Forschern des Jenaer Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie, der Friedrich-Schiller-Universität Jena und weiterer Einrichtungen aus ganz Deutschland hat jetzt eine wegweisende Entdeckung gemacht. „Uns ist gelungen einen Mechanismus zu entschlüsseln, über den bestimmte Mikrobiome Entzündungsreaktionen in der Lunge verstärken“, erklärt Studienleiterin Petra Bacher vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. „Die jetzt in der Fachzeitschrift Cell veröffentlichten Ergebnisse öffnen uns neue Wege in der Behandlung schwerer Pilzinfektionen, die heute nur schwer therapierbar sind“, ergänzt der Sprecher des Jenaer Exzellenzclusters, Axel Brakhage.
Der Mensch lebt in enger Symbiose mit seinem Mikrobiom, also den unzähligen Bakterien, Pilzen und Viren, die unsere Körperoberflächen, die Haut, den Darm oder die Lunge, besiedeln. Dieses Zusammenleben ist fein ausbalanciert und bietet viele Vorteile wie den Schutz vor Infektionen oder die Hilfe bei der Verwertung von Nährstoffen. Ein verändertes Mikrobiom ist mit verschiedenen Krankheiten assoziiert. Hierzu zählen unter anderem chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Allergien, Stoffwechselkrankheiten, Autoimmunerkrankungen, Krebs oder auch psychische Krankheiten wie Depressionen. Durch gezielte Beeinflussung des Mikrobioms ließen sich also prinzipiell fast alle großen Volkskrankheiten behandeln. Noch fehlen aber konkrete Ansatzpunkte. Die enorme Vielfalt des Mikrobioms erschwert die Definition von Ursache und Wirkung und damit eine gezielte therapeutische Beeinflussung.
Die Wechselwirkung mit dem Mikrobiom wird maßgeblich durch das Immunsystem gesteuert. Zellen des Immunsystems erkennen bestimmte Mikroben und sorgen für ein gesundes Gleichgewicht. Die entscheidende Frage ist: Wie und durch wen werden unterschiedlichen Effekte auf Körperfunktionen vermittelt? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie und der Friedrich-Schiller-Universität Jena, der Charité-Universitätsmedizin Berlin sowie der Unikliniken Köln und Bochum unter der Leitung von Petra Bacher und Alexander Scheffold von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein ist nun ein Durchbruch gelungen. „Wir haben den eigentlich harmlosen Pilz Candida albicans, der Darm, Haut und Schleimhäute besiedelt, als einen zentralen Modulator unseres Immunsystems identifiziert“, erklärt Alexander Scheffold. „Candida albicans regt das Immunsystem an, spezifische Abwehrzellen, sogenannte Th17 Zellen, zu bilden. Diese ermöglichen das friedliche Zusammenleben mit dem Pilz.“ Für die Studie haben die Forscherinnen und Forscher ein sensitives Verfahren entwickelt, um die Th17-Zellen aus dem Blut von gesunden Menschen herauszufiltern, die sich gegen Candida albicans richten. Ein Teil dieser Th17 Zellen erkennt auch andere Pilze, wie beispielsweise den Schimmelpilz Aspergillus fumigatus, wie die weiteren Analysen ergaben. Dieses Phänomen wird als Kreuzreaktivität bezeichnet.
Sporen von Aspergillus fumigatus werden täglich über die Atemluft aufgenommen, sind bei Gesunden aber harmlos. Bei Menschen, die an Lungenerkrankungen wie Mukoviszidose, chronisch obstruktiver Lungenerkrankung oder Asthma leiden, kann sich der Schimmelpilz hingegen in der Lunge ansiedeln. Er steht im Verdacht das Krankheitsbild zu verschlechtern. „Überraschenderweise fanden wir, dass bei diesem Personenkreis die Konzentration der kreuzreaktiven Th17 Zellen im Lungengewebe erhöht ist und mit einer Krankheitsverschlechterung einhergeht. „Die schützende Th17 Reaktion im Darm scheint in der Lunge eher krankmachende Immunprozesse zu verstärken“, ergänzt Erstautorin Petra Bacher.
Damit konnten die Forscherinnen und Forscher erstmals nachweisen, wie ein einzelnes Mitglied des Mikrobioms, nämlich Candida albicans, die spezifische Immunreaktion gegen eine große Gruppe von anderen Mikroben prägt. „Immunkreuzreaktivität ist aber vermutlich ein verbreiteter Mechanismus über den das Mikrobiom das Immunsystem manipuliert, mit schützenden oder schädlichen Auswirkungen für den Menschen. Die Möglichkeit, solche spezifischen Effekte einzelner Mikroben zu entschlüsseln erlaubt uns nun gezielte Therapien zu entwickeln“, so Scheffold.
Originalpublikation
Bacher P, Hohnstein T, Beerbaum E, Röcker M, Kaufmann S, Brandt C, Röhmel J, Stervbo U, Nienen M, Babel N, Milleck J, Assenmacher M, Cornely OA, Heine G, Worm M, Creutz P, Tabeling C, Ruwwe-Glösenkamp C, Sander LE, Brunke S, Hube B, Blango M, Kniemeyer O, Brakhage AA, Schwarz C, Scheffold A (2019) Instruction of human anti-fungal Th17 immunity and immune pathology by cross-reactivity against a single member of the microbiota. Cell DOI: 10.1016/j.cell.2019.01.041
Der Exzellenzcluster Balance of the Microverse
Der Exzellenzcluster Balance of the Microverse (Gleichgewicht im Mikroversum) wird seit 2019 im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert. Er baut thematisch auf der Exzellenzgraduiertenschule Jena School for Microbial Communication auf und wird durch vier Sonderforschungsbereiche verstärkt. Neben fünf Fakultäten der Friedrich-Schiller-Universität Jena und dem Universitätsklinikum Jena sind am Exzellenzcluster acht außeruniversitäre Forschungseinrichtungen am Standort beteiligt: Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie, Leibniz-Institut für Photonische Technologien, die Max-Planck-Institute für chemische Ökologie, für Menschheitsgeschichte und für Biogeochemie, Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik, Helmholtz-Institut Jena, DLR-Institut für Datenwissenschaften. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Clusters erforschen die dynamischen Gleichgewichte mikrobieller Gemeinschaften und ihre Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Ziel ist es, die funktionellen Wechselwirkungen von der molekularen Ebene bis hin zu komplexen Ökosystemen zu verstehen und Lösungsansätze für die Erhaltung und Wiederherstellung mikrobieller Gleichgewichte zu entwickeln.TEXT
Das Leibniz-HKI
Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler des Leibniz-HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre biologische Aktivität untersucht und für mögliche Anwendungen als Wirkstoffe zielgerichtet modifiziert.
Das Leibniz-HKI verfügt über fünf wissenschaftliche Abteilungen, deren Leiter gleichzeitig berufene Professoren der Friedrich-Schiller-Universität Jena sind. Hinzu kommen mehrere Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut, darunter das anwendungsorientierte Biotechnikum als Schnittstelle zur Industrie. Gemeinsam mit der FSU betreibt das HKI die Jena Microbial Resource Collection, eine umfassende Sammlung von Mikroorganismen und Naturstoffen. Zurzeit arbeiten etwa 430 Personen am Leibniz-HKI, davon 140 als Doktoranden.
Das Leibniz-HKI ist Initiator und Kernpartner großer Verbundvorhaben wie der Exzellenz-Graduiertenschule Jena School for Microbial Communication, der Sonderforschungsbereiche FungiNet (Transregio) und ChemBioSys, des Zentrums für Innovationskompetenz Septomics sowie von InfectControl 2020, einem Konsortium im BMBF-Programm Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation. Das Leibniz-HKI ist Nationales Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen und Kernpartner des Exzellenzclusters Balance of the Microverse.
Die Leibniz-Gemeinschaft
Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 93 selbständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen - u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 19.100 Personen, darunter 9.900 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,9 Milliarden Euro.
Ansprechpartner
Dr. Michael Ramm
Wissenschaftliche Organisation
Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie e. V. – Hans-Knöll-Institut (HKI) –
Adolf-Reichwein-Straße 23
07745 Jena
+49 3641 5321011
+49 176 54909562