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Symbiose-Bakterien: Vom blinden Passagier zum Leibwächter des Wollkäfers
Bakterielle Symbionten im Rollenwechsel zwischen Pflanzenschädling und Insektenbeschützer
Ein internationales Team von Wissenschaftlern hat eine Mikrobe entdeckt, die zwei Gesichter zu haben scheint: das des guten Beschützers und das des Krankheitserregers. Das Bakterium Burkholderia gladioli lebt in spezifischen Organen eines pflanzenfressenden Käfers und schützt dessen Eier durch die Produktion von Antibiotika vor schädlichen Pilzen. Wird es jedoch auf eine Pflanze übertragen, breitet es sich dort überall im Gewebe aus und schädigt die Pflanze nachhaltig (Nature Communications, April 2017, DOI: 10.1038/ncomms15172, Open Access).
Im Zusammenspiel mit Tieren und Pflanzen sind Mikroben nicht immer nur feindliche Gegenspieler, sie können auch mächtige Verbündete sein. In der Tat sind Wechsel zwischen gegnerischen und partnerschaftlichen Lebensstilen bei Mikroben vermutlich keine Ausnahme. Die direkte Beobachtung eines solchen Wechsels gelang Wissenschaftlern der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie und des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena sowie der Universidad Estadual Paulista in Rio Claro, Brasilien. Die neue Studie wurde in Nature Communications veröffentlicht.
Der Schutz des Nachwuchses wird von Wollkäfern an ein Bakterium „outgesourct“
Wie viele andere Insekten brauchen auch Wollkäfer der Unterfamilie Lagriinae eine wirksame Verteidigung: Sie legen ihre Eier auf die feuchte Erde unter Laubstreu, also in ein Milieu, in dem ihre Weiterentwicklung durch Schimmelpilze bedroht ist. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter der Leitung von Martin Kaltenpoth von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz haben jetzt entdeckt, dass die Anwesenheit des Bakteriums Burkholderia gladioli auf den Eiern des Wollkäfers Lagria villosa das Risiko einer Pilzinfektion drastisch vermindert und entscheidend zum Überleben der Käfernachkommen beiträgt. „Sogar wenn wir Schimmelpilze direkt auf die Käfer-Eier auftrugen, blieben Eier, auf denen wir die symbiotischen Mikroben nachweisen konnten, pilzfrei, während Eier ohne Mikrobenschutz oftmals von einem ganzen Pilzrasen überwuchert wurden“, beschreibt Erstautorin Laura Flórez eine Schlüsselbeobachtung der Studie, die sie im Rahmen ihrer Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie durchgeführt hat. Denn obwohl sich auch andere Insekten bei der Verteidigung gegen natürliche Feinde auf symbiotische Mikroorganismen verlassen, ist der mikrobielle Schutz von Insekten im empfindlichen Ei-Stadium bislang kaum bekannt.
Neu entdecktes Antibiotikum ähnelt Pflanzenabwehrstoff
Wie aber wird der Schutz der nährstoffreichen Eier zuwege gebracht? Mittels chemischer Analysen entdeckten die Forscher vier verschiedene Antibiotika, die von den mikrobiellen Leibwächtern der Käfer produziert werden. Während zwei der entdeckten Substanzen bereits beschrieben wurden, waren die beiden anderen Moleküle bisher noch nicht bekannt. „Uns hat besonders überrascht, dass wir eine chemische Substanz identifizieren konnten, die eher einem pflanzlichen Abwehrstoff als einem bakteriellen Antibiotikum ähnelt“, sagt Christian Hertweck vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie, der gleichzeitig einen Lehrstuhl an der Friedrich-Schiller-Universität Jena innehat. Er führte die chemischen Untersuchungen durch. Alle vier Substanzen hemmten das Wachstum anderer Mikroben, wobei einige gegen Pilze, andere wiederum gegen Bakterien wirksam waren. Dieses chemische Waffenarsenal scheint die Käfer-Eier also wirksam gegen ein breites Spektrum an schädlichen Mikroorganismen zu schützen.
Der Insekten Freund, der Pflanzen Feind
Überraschenderweise sind die bakteriellen Helfer der Käfer nah mit Krankheitserregern von Pflanzen verwandt. So konnten sie sich auf Sojabohnenpflanzen, einer häufigen natürlichen Futterquelle der Wollkäfer, vermehren. Dort wurden sie zum Pflanzenschädling, was im Experiment anhand der verminderten Bohnenproduktion gemessen werden konnte. Aber können die Bakterien in der Natur überhaupt die Käfer verlassen und Pflanzen infizieren? Dies konnte ein weiteres Experiment beweisen. Nachdem Käfer drei Tage lang auf Blättern der Sojabohne gefangen gehalten worden waren, konnten die Forscher das genetische Material der Bakterien in den Blättern nachweisen. Dass dies auch eine Bedeutung in der freien Natur hat, unterstreicht die Analyse von fünf verwandten Käferarten: Alle enthielten Stämme des Bakteriums Burkholderia gladioli; allerdings waren die jeweiligen Käfer-Bakterien näher mit anderen Burkholderia gladioli-Stämmen, die auf ihren Nahrungspflanzen vorkamen, verwandt als mit den Stämmen der anderen Käfer. Daher ist es wahrscheinlich, dass Burkholderia gladioli die Käfer auch als blinde Passagiere für den Transport von Pflanze zu Pflanze nutzen.
Insektensymbiosen als Fundgrube für neue Antibiotika
Es gibt viele beschriebene Fälle von Insekten, die Mikroorganismen von Pflanze zu Pflanze übertragen. „Was am Fall der Wollkäfer so fasziniert, ist die Tatsache, dass sich die Bakterien von blinden Passagieren in Leibwächter mit chemischen Waffen verwandelt haben“, erläutert Martin Kaltenpoth. Darüber hinaus unterstreicht die Fähigkeit dieses Bakteriums, bislang unbekannte bioaktive Substanzen zu produzieren, die Bedeutung von symbiotischen Partnerschaften zwischen Insekten und Mikroorganismen: Sie sind eine überaus wichtige Fundgrube für neue Antibiotika. Möglicherweise können diese Naturstoffe dazu beitragen, die zunehmenden Resistenzen von Krankheitserregern gegenüber herkömmlicher Antibiotika beim Menschen zu bekämpfen.
Die Arbeit wurde von der Max-Planck-Gesellschaft und im Rahmen des Sonderforschungsbereiches „Chemische Mediatoren in komplexen Biosystemen“ mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. [LF/MK/AO]
Originalveröffentlichung:
Flórez LV, Scherlach K, Gaube P, Ross C, Sitte E, Hermes C, Rodrigues A, Hertweck C, Kaltenpoth M (2017) Antibiotic-producing symbionts dynamically transition between plant pathogenicity and insect defensive mutualism. Nature Communications, DOI: 10.1038/ncomms15172.
http://dx.doi.org/10.1038/ncomms15172
Bildunterschriften
17-03-FISH_L.villosa_female_gland_Florez_et_al
Bakterielle Symbionten (Burkholderia gladioli) bewohnen Reservoire im Fortpflanzungssystem des Wollkäfers Lagria villosa. Die mit Fluoreszenz markierten Bakterien sind gelb dargestellt, die Zellkerne des Wirtsinsekts blau. Die Bakterien produzieren Antibiotika, die den Käfereiern Schutz vor Schimmelpilzen im Boden verleihen.
Copyright: Paul Gaube und Laura V. Flórez, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
17-03-Lagria_villosa_Florez_et_al
Die Wollkäfer ernähren sich von einer Vielfalt von Nutzpflanzen, darunter auch die Sojabohne. Ihre auf die Blätter übertragenen Symbionten schädigen dort das Pflanzengewebe.
Copyright: Laura V. Flórez, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
Informationen zum HKI
Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler des HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre biologische Aktivität untersucht und für mögliche Anwendungen als Wirkstoffe zielgerichtet modifiziert.
Das HKI verfügt über fünf wissenschaftliche Abteilungen, deren Leiter gleichzeitig berufene Professoren der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) sind. Hinzu kommen mehrere Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut, darunter das anwendungsorientierte Biotechnikum als Schnittstelle zur Industrie. Gemeinsam mit der FSU betreibt das HKI die Jena Microbial Resource Collection, eine umfassende Sammlung von Mikroorganismen und Naturstoffen. Zurzeit arbeiten etwa 400 Personen am HKI, davon 130 als Doktoranden.
Das HKI ist Initiator und Kernpartner großer Verbundvorhaben wie der Exzellenz-Graduiertenschule Jena School for Microbial Communication, der Sonderforschungsbereiche FungiNet (Transregio) und ChemBioSys, des Zentrums für Innovationskompetenz Septomics sowie von InfectControl 2020, einem Konsortium im BMBF-Programm Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation. Seit 2014 ist das HKI Nationales Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen.
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Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 91 selbständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an.
Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen ‑ u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 18.600 Personen, darunter 9.500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,7 Milliarden Euro.
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Prof. Dr. Martin Kaltenpoth, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Johann-Joachim-Becher-Weg 13, 55128 Mainz, Tel. +49 6131 3924411, E-Mail mkaltenp@uni-mainz.de
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Symbiotic bacteria: from hitchhiker to beetle bodyguard
Bacterial symbionts transition between plant pathogenicity and insect defensive mutualism
An international team of researchers has discovered a remarkable microbe with a Jekyll and Hyde character. The bacterium Burkholderia gladioli lives in specific organs of a plant-feeding beetle and defends the insect's eggs from detrimental fungi by producing antibiotics. However, when transferred to a plant, the bacterium can spread throughout the tissues and negatively affect the plant. (Nature Communications, April 28, 2017, DOI: 10.1016/j.cub.2017.03.017, Open Access)
Microbes are not always hostile players when interacting with animals and plants, they can also be powerful allies. In fact, transitions between antagonistic and cooperative lifestyles in microbes are likely not an exception, although such shifts have rarely been observed directly. In a new study published in Nature Communications, researchers from Johannes Gutenberg University Mainz (JGU), the Max Planck Institute for Chemical Ecology and the Leibniz Institute for Natural Product Research and Infection Biology – Hans Knöll Institute (HKI) – in Jena, and the Universidad Estadual Paulista in Rio Claro, Brazil, gathered evidence for such a transition.
Beetles outsource offspring protection to a bacterium
Like many other insects, a group of herbivorous beetles, the Lagriinae, is in great need of an efficient defense. They lay their eggs on humid soil under leaf litter, where encounters with mold fungi are guaranteed. Researchers lead by Martin Kaltenpoth from Mainz University have now discovered that the presence of a special bacterium, Burkholderia gladioli, on the eggs of the beetle Lagria villosa strongly reduces the risk of fungal infection and helps them survive. "Even when we applied mold fungi to the beetle's eggs, those with their symbiotic microbe present remained clean, whereas those without were often overgrown by a lawn of fungi", said first author Laura Flórez, who performed the experiments for her PhD project at the Max Planck Institute for Chemical Ecology in Jena, describing one of the key findings. Although some other insects also rely on microbes for protection against natural enemies, a microbial defense of the vulnerable egg stage was unknown.
Newly discovered antibiotic agent resembles a plant defense compound
How is the protection of the nutrient-rich beetle eggs achieved? Chemical analyses revealed four different antibiotics produced by the beetle's microbial bodyguards. While two of these were already known, the other two molecules had not been described before. "We were particularly surprised to find a new chemical that looks much more like a plant defense compound than a bacterial antibiotic", said Christian Hertweck from the Leibniz Institute for Natural Product Research and Infection Biology, who guided the chemical analyses. All four compounds inhibited the growth of other microbes; some were active against fungi, others against bacteria. This chemical armory likely shields the beetle’s eggs from a broad spectrum of detrimental microbes.
The insect’s friend, the plant’s foe
Surprisingly, the beetle's allies are very closely related to plant pathogens. And indeed, when the scientists applied the bacteria to soybean plants, a common food source of L. villosa beetles in nature, the microbes spread throughout the plants. There they had a negative impact as the infection resulted in the production of fewer beans as compared to control plants. But do the bacteria actually have a chance to leave the beetle and infect the plant in nature? An additional experiment demonstrated that they do. After beetles were confined to soybean leaves for three days, the bacteria genetic material could be detected in the leaves. That this is likely relevant in nature is shown by an analysis of five related beetle species: all contained Burkholderia gladioli strains, but these were more closely related to other environmental or plant-associated Burkholderia gladioli strains than to each other. Thus, the bacteria likely hitch a ride on the beetles to jump from plant to plant.
Insect symbiosis as a treasure trove of antibiotics
There are many described cases of insects that carry microorganisms between plants. "What is interesting in the Lagria beetles is that their bacterial hitchhikers have turned into chemically-armed bodyguards", explained Professor Martin Kaltenpoth. In addition, the ability of this bacterium to produce previously unknown bioactive compounds highlights partnerships between insects and microbes as promising sources of novel antibiotics that may help to fight increasingly resistant human pathogens. The study was supported in the framework of the Collaborative Research Center 1127 “Chemical Mediators in Complex Biosystems” from the German Research Foundation. [LF/MK/AO]
Original publication
Flórez LV, Scherlach K, Gaube P, Ross C, Sitte E, Hermes C, Rodrigues A, Hertweck C, Kaltenpoth M (2017) Antibiotic-producing symbionts dynamically transition between plant pathogenicity and insect defensive mutualism. Nature Communications, DOI: 10.1038/ncomms15172.
http://dx.doi.org/10.1038/ncomms15172
Figures
17-03-FISH_L.villosa_female_gland_Florez_et_al
Bacterial symbionts (Burkholderia gladioli) inhabit glands in the reproductive system of Lagria villosa beetles. The fluorescently labeled bacteria are shown in yellow, insect host cell nuclei in blue. The bacteria produce antibiotics that protect beetle eggs from mold fungi. Fluorescence Microscopy
Copyright: Paul Gaube und Laura V. Flórez, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
17-03-Lagria_villosa_Florez_et_al
Lagria villosa beetles feed on a variety of crop plants, including soybean, and can transfer their bacterial symbionts to the plant tissue.
Copyright: Laura V. Flórez, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.
Further Information
Prof. Dr. Martin Kaltenpoth, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Johann-Joachim-Becher-Weg 13, 55128 Mainz, Tel. +49 6131 3924411, E-Mail mkaltenp@uni-mainz.de
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